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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Mein Arm brannte noch immer, ich streckte ihn aus und goß eine halbe Dose Bier darüber. Narkose nach Art des Hauses. Die Wunde war lang, aber flach. In einigen Monaten würde das Gewebe von Dunkelrot zu Dunkelweiß verblassen. Man würde sie kaum noch sehen können.
Ich zog mein Hemd hoch und sah mir die Qualle auf meinem Bauch an, die Narbe, die nie verschwinden würde, die man nie für etwas Harmloses halten würde, für etwas, das sie nicht war. Sie war ein Zeichen der Gewalt und verkommener Gleichgültigkeit, ein Brandzeichen. Das Vermächtnis des Helden, sein Stempel auf diese Welt, sein Versuch, unsterblich zu werden. Solange ich lebte und diese Qualle auf dem Bauch trug, lebte auch er.
Als ich ein Kind war, wuchs die Angst meines Vaters vor dem Feuer direkt proportional zu seinem Erfolg als Feuerlöscher. Als er den Rang eines Leutnants erreicht hatte, war unsere Wohnung zu einer feuersicheren Kampfzone geworden.
Unser Kühlschrank enthielt nicht nur eine, sondern drei Kisten Backpulver. Zwei weitere standen im Schrank unter der Spüle, eine über dem Herd. In der Wohnung meines Vaters gab es keine Heizdecken, keine defekten Haushaltsgeräte. Der Toaster wurde zweimal pro Jahr gewartet. Alle vorhandenen Uhren waren mechanisch. Stromkabel wurden zweimal im Monat auf Risse in der Ummantelung geprüft, Steckdosen alle sechs Wochen. Als ich zehn Jahre war, zog mein Vater jede Nacht die Stecker aus den Dosen, um das Risiko von Streustrom zu minimieren.
Als ich elf war, überraschte ich meinen Vater einmal, als er spät nachts am Küchentisch saß und eine Kerze anstarrte, die er vor sich gestellt hatte. Er hielt eine Hand über die Flamme, klopfte von Zeit zu Zeit darauf, während seine dunklen Augen den blaugelben Docht fixierten, als könne er ihm etwas verraten. Als er mich entdeckte, wurden seine Augen groß, sein Gesicht lief rot an, und er sagte: »Man kann es bändigen. Es geht.« Ich wunderte mich, in seiner tiefen Stimme eine Spur von Unsicherheit zu hören.
Da die Schicht meines Vaters um drei Uhr nachmittags begann und meine Mutter abends als Kassiererin bei Stop and Shop arbeitete, waren meine Schwester Erin und ich schon lange Schlüsselkinder, bevor dieser Begriff überhaupt in Mode kam. Eines Abends versuchten wir, schwarz geschmorten Bückling mit Kräutern zu braten, da wir den auf einer Reise nach Cape Cod im vergangenen Sommer gegessen hatten.
Wir gaben alle in der Küche vorhandenen Gewürze in die Pfanne, und innerhalb weniger Minuten füllte sich die Küche mit Qualm. Ich öffnete die Fenster, während meine Schwester Vorder- und Hintertür entriegelte. Doch als uns wieder einfiel, wodurch der Qualm überhaupt verursacht worden war, hatte die Pfanne schon Feuer gefangen.
Ich erreichte den Herd in dem Moment, als der erste dicke blauflammende Fallschirm auf den weißen Vorhang segelte. Ich dachte an die Angst in der Stimme meines Vaters. »Man kann es bändigen.« Erin nahm die Pfanne vom Herd, doch das braune Fett spritzte ihr auf den Arm. Sie ließ die Pfanne fallen, so daß sich ihr Inhalt wie Napalm über den Herd ergoß.
Ich stellte mir die Reaktion meines Vaters vor, wenn er feststellen müssen würde, daß wir es in sein Haus gelassen hatten, an die Scham, die er empfinden würde, an die Wut, in die sich seine Scham verwandeln und die das Blut in seinen Händen stauen würde, bis sie sich in Fäuste verwandelten und er nach mir Ausschau halten würde.
Ich geriet in Panik.
Obwohl sich sechs Kisten Backpulver in meiner Reichweite befanden, griff ich nach der erstbesten Flüssigkeit, die ich auf dem Kühlschrank erblickte, und goß einen halben Liter vierzigprozentigen Wodka mitten in ein Feuer aus Öl.
Eine Zehntelsekunde später war mir klar, was passieren mußte, und ich zog meine Schwester gerade noch rechtzeitig zu Boden, bevor die obere Hälfte des Zimmers explodierte. Wir lagen auf dem Fußboden und sahen ehrfürchtig zu, wie sich die Tapete über dem Herd von der Wand löste, wie sich eine blau-gelb-schwarz-rote Wolke in die Decke fraß, wie sich Hunderte von Glühwürmchen auf die Außenwand des Kühlschranks stürzten.
Meine Schwester robbte davon und holte den Feuerlöscher aus der Diele. Ich griff nach dem in der Vorratskammer, und dann stellten wir uns mitten in die Küche und ertränkten den Herd, die Wand, die Decke, den Kühlschrank und den Vorhang in Wasser, als hätten die letzten fünf Minuten nicht stattgefunden, als seien wir zu Recht die Kinder eines berühmten

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