Stresstest Deutschland
streng genommen, nur auf einem Haufen grüner Scheine, über deren Wert ausschließlich die US -Notenbank zu befinden hat. Sollten die USA – wovon nicht auszugehen ist – tatsächlich zahlungsunfähig werden, könnte China seine Forderungen abschreiben. Sollten die USA – was wahrscheinlich ist – die Notenpresse anwerfen und den Dollar künstlich abwerten, säße China zwar immer noch auf einem gigantischen Haufen grüner Scheine, deren Wert jedoch schneller schmilzt als ein Eisberg in der Sahara.
An dieser Stelle sei die Frage gestattet, wer hier auf Sand gebaut hat: die USA , die jahrelang die schönen chinesischen Produkte importiert haben, oder die Chinesen, die – wenn es hart auf hart kommt – einsehen müssen, dass sie die schönen Produkte verschenkt haben?
Ähnlich, wenn auch nicht ganz so dramatisch, verhält es sich bei den deutschen Exporten. Die deutschen Unternehmen haben Auslandsforderungen in Höhe von 722 Milliarden Euro, die deutschen Banken sitzen sogar auf Auslandsforderungen in Höhe von fast zwei Billionen Euro. 19 Das heißt, Deutschlands Forderungen gegenüber dem Ausland sind demnach sogar noch größer als die chinesischen Währungsreserven, die von den Pekinger Notenbankern in Anleihen investiert wurden und somit ebenfalls Forderungen darstellen. Deutschland hat gegenüber China jedoch den Vorteil, dass der größte Teil der Auslandsforderungen dank der GemeinschaftswährungEuro im »eigenen« Währungsbereich liegt und daher nicht »kalt entwertet« werden kann.
Diese ungewöhnliche Verteilung der Forderungen wird uns später noch beschäftigen, wenn es um das Thema Eurokrise geht. Für die Betrachtung der Handelsbilanzen reicht es zunächst festzustellen, dass ein Land mit permanenten Handelsbilanzüberschüssen auch dauerhaft Forderungen gegenüber dem Ausland aufbaut, die im Krisenfall schnell zu Abschreibungsobjekten werden können. So gesehen ist die Exportweltmeisterschaft gleich ein doppelter Pyrrhussieg: Die Arbeitnehmer bezahlen für diese Weltmeisterschaft, indem sie vergleichsweise niedrige Löhne erhalten, während die Unternehmen und Banken immer mehr Forderungen aufbauen, deren Begleichung bei einer Ausweitung des Ungleichgewichts alles andere als sicher ist. Womit soll eine chronisch defizitäre Volkswirtschaft auch ihre Schulden bezahlen?
Gleichgewicht oder Währungskrieg?
Nicht nur in der Naturwissenschaft, sondern auch in der Volkswirtschaft neigen Potentiale und Flüsse dazu, sich in ein Gleichgewicht zu begeben. Gäbe es nicht den Euro und ein wirklich flexibles Wechselkurssystem, in dem sich der Kurs der Währungen strikt an Angebot und Nachfrage orientiert, hätten weder China noch Deutschland je derart große Handelsbilanzüberschüsse anhäufen können. Wenn ein Land wie Deutschland permanent mehr Güter ausführt, als es einführt, würde die Nachfrage nach der deutschen Währung steigen (die Rechnungen müssen schließlich bezahlt werden) und die Währung dadurch aufwerten. Die Währungen chronischer Handelsbilanzdefizitländer würden analog mittel- bis langfristig abgewertet werden. Dies hätte zur Folge, dass in den Defizitländern Importgüter teurer und die eigenen Produkte sowohl auf dem heimischen als auch auf dem internationalen Markt günstiger würden.
Nehmen wir einmal an, es gäbe keinen Euro und die D-Mark müsste gegenüber der Lira um vierzig Prozent aufwerten, was keinesfalls unrealistisch ist. Für den italienischen Arbeiter, der seinen Lohn in Lira ausgezahlt bekommt, wäre dann – grob vereinfacht dargestellt – der VW vierzig Prozent teurer als der italienische Fiat. Für den deutschen Arbeiter, der seinen Lohn in D-Mark ausgezahlt bekommt, wäre analog dazu der Fiat vierzig Prozent preiswerter als der VW . Auf diese Art und Weise würden sowohl der Außenhandelsüberschuss Deutschlands als auch das Außenhandelsdefizit Italiens von ganz allein dahinschmelzen. Diese Entwicklung würde so lange andauern, bis sich ein Gleichgewicht einstellt.
Innerhalb der Eurozone gibt es jedoch keinen Ausgleich der Währungen. Alle Länder verfügen über den Euro, weshalb es zwischen den Euroländern keine Auf- oder Abwertungen geben kann. Auch im Handel mit Ländern in anderen Währungsräumen kommt es aufgrund der Gemeinschaftswährung zu Verzerrungen. Wenn es beispielsweise um den Wechselkurs zwischen dem Euro und dem US -Dollar geht, beziehen sich Angebot und Nachfrage auf den gesamten Euroraum. Die Defizite von Staaten wie Italien oder
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