Stresstest Deutschland
unbekannter ist jedoch, dass noch nicht einmal die »Weltfabrik« China einen derart großen Exportüberschuss wie Deutschland vorweisen kann. 18
Pyrrhussieg für Chermany
Befragt man die deutsche Bevölkerung zu den Exportüberschüssen, so stößt man immer wieder auf einen gewissen Stolz. Allerdings stellen die gigantischen Exportüberschüsse de facto keinen Erfolg, sondern vielmehr ein Problem dar – und dies gleich auf mehreren Ebenen.
Auf nationaler Ebene könnte man Exportüberschüsse auch genauso gut als Importdefizite betrachten, auch wenn sich dies freilich nicht so positiv anhört, denn wir haben ja schon in der Schule gelernt, dass Überschüsse etwas Gutes und Defizite etwas Schlechtes sind. Es ist offenbar schwer, sich vom Leitbild der schwäbischen Hausfrau zu trennen. Die Erfahrung zeigt, dass Exportüberschüsse immer dann entstehen, wenn die Löhne – in Relation zu den Handelspartnern – einerseits zu niedrig und andererseits ungleich verteilt sind. Beides trifft auf Deutschland zu. Steigen die Löhne und sinkt die Ungleichverteilung der Einkommen, steigt auch der Konsum der Bevölkerung und somit die Menge der Importe. Gleichzeitig sinkt durch steigende Löhne auch tendenziell der Lohnstückkostenvorteil, wodurch die Exporte sinken. Vereinfacht könnte man unterstellen, dass sich ein Land, in dem sich Importe und Exporte die Waage halten, volkswirtschaftlich auf dem richtigen Weg ist. Dies trifft innerhalb der Eurozone zum Beispiel mit Abstrichen auf Frankreich zu, dessen Handelsbilanz fast ausgeglichen ist.
Auch Frankreich könnte zweifelsohne bei der Exportweltmeisterschaft einen Spitzenrang belegen, wenn es denn nur wollte. Bei unseren westlichen Nachbarn sind die Lohnstückkosten jedoch im letzten Jahrzehnt um rund zwanzig Prozent gestiegen, was einerseits dazu führte, dass die Franzosen gegenüber den Deutschen leichte Wettbewerbsnachteile hinnehmen müssen. Andererseits hat dies auch zur Folge, dass die Franzosen am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche haben. Man muss schon ziemlich ignorant sein, wenn man darauf stolz ist, dass man für seine Arbeit schlechter bezahlt wird als der Nachbar. Diese Ignoranz ist in Deutschland durchaus populär.
Natürlich spricht niemand die Lohnvorteile der Franzosen direkt an. Stattdessen verweist man gern auf Deutschlands wirklich hervorragende Konjunkturdaten. Nur was nutzen die besten Konjunkturdaten, wenn man als Arbeitnehmer gar nichts davon hat?
Auch das beliebte Argument, dass Deutschland durch seine Wettbewerbsvorteile besser für die Zukunft gerüstet sei als seine Nachbarn, ist bei näherer Betrachtung ein grandioser Denkfehler.
Man kann die Warenströme nun einmal nicht isoliert von den Geldströmen betrachten. Gesamtwirtschaftlich betrachtet, sind die Überschüsse des einen immer zwingend die Defizite des anderen. Auch diesen Satz müsste Kanzlerin Merkel am besten nach Schulschluss hundertmal an die Tafel schreiben. Der Welthandel ist nun einmal ein Nullsummenspiel. Wenn Länder wie Deutschland oder auch China, die international als »Chermany« bekannt sind, immer größere Handelsbilanzüberschüsse anpeilen, so sind diese nur dann realisierbar, wenn andere Länder ihre Handelsbilanzdefizite ausbauen. Diese Steigerung des Ungleichgewichts hat im letzten Jahrzehnt erstaunlich gut funktioniert. Wenn man einmal die Frage der Bezahlung ausklammert, ließe sich dieses Ungleichgewicht auch bis ins Unendliche steigern. Deutschland könnte beispielsweise problemlos die gesamte Welt mit wunderschönen Automobilen made in Germany beglücken. Es ist jedoch offensichtlich, dass dies nur dann möglich wäre, wenn man die Autos verschenkt, und im Welthandel gibt es nun einmal nichts geschenkt.
Wenn ein Land permanent mehr Güter aus- als einführt, muss es über kurz oder lang den Ländern, die diese Güter kaufen, Geld leihen. Diese Form des dysfunktionalen Doppelpasses kann man seit Jahren zwischen den USA und China betrachten. Die USA importieren schier unglaubliche Mengen an chinesischen Produkten und bezahlen diese, gesamtwirtschaftlich gesehen, mit dem Geld, das China den USA leiht. China ist der größte Gläubiger der USA und sitzt auf Währungsreserven in Höhe von mehr als drei Billionen US -Dollar. John Conally, Anfang der 1970er Jahre Finanzminister der US -Regierung unter Präsident Nixon, sagte einst den schlauen Satz: »Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem«.
Dieser Satz gilt auch heute noch. China sitzt,
Weitere Kostenlose Bücher