Stresstest Deutschland
Binnenwirtschaft zusammenfassen kann, zur »Wirtschaft«. Paradoxerweise haben diese Bereiche jedoch keinen nennenswerten Einfluss auf die mediale oder gar politische Agenda.
Deutschland ist vor mehr als einem Jahrzehnt in eine Sackgasse eingebogen, und anstatt den Fehler zu erkennen und den Rückwärtsgang einzulegen, tritt man umso stärker aufs Gas, je näher das Ende der Sackgasse kommt. Dabei verbittet man sich jegliche Kritik am eigenen Kurs. Wäre es nicht so traurig, dann würde dies alles an den Witz vom Autofahrer erinnern, der die Radiowarnung vor einem Geisterfahrer mit den Worten kontert: »Was? Einer? Hunderte!«
Dies alles wäre weniger dramatisch, wenn sich die negativen Auswirkungen der deutschen Wirtschaftspolitik auf die deutsche Bevölkerung beschränkten. Besonders deutsche Kälber wählen bekanntlich ihre Metzger mit Vorliebe selbst. Durch die Verflechtungen des internationalen Handels und der Globalisierung stellt Deutschland jedoch auch eine Gefahr für die Weltkonjunktur dar. Auch wenn man dies hierzulande nur ungern hört: Die Finanzkrise mag in den USA ausgebrochen sein, verantwortlich für die realwirtschaftlichen Entwicklungen, die dazu führten, dass aus einer Fehlbewertung amerikanischer Hypothekenkredite eine Krise der Europäischen Gemeinschaftswährung und eine brandgefährliche Wirtschaftskrise werden konnte, ist jedoch auch und vor allem die ideologische Verbohrtheit der Deutschen.
6 Steuersystem: Umverteilung einmal andersrum
In einer Marktwirtschaft ist es unumgänglich, dass es Einkommensunterschiede gibt. Angebot und Nachfrage bestimmen nicht nur den Preis von Waren, sondern auch den Preis von Arbeit. Ein guter Schauspieler füllt die Kinosäle, ein guter Fußballer lässt den Trikotverkauf seines Vereins in die Höhe schnellen, ein guter Programmierer verkauft seine Software für gutes Geld, und ein guter Sänger lockt viele Fans in seine Konzerte – es ist vollkommen legitim, dass diese Personen auch hohe Einkommen erzielen. Sie haben es sich sprichwörtlich verdient. Es ist auch vollkommen verständlich, dass ein Automobilkonzern einem talentierten Chefingenieur, dessen Arbeit einen großen Einfluss auf die Verkaufszahlen hat, mehr Geld bezahlen muss als einem Hilfsarbeiter. Bietet sie dem Chefingenieur kein gutes Gehalt, geht dieser zur Konkurrenz. Der Hilfsarbeiter ist hingegen austauschbar.
Es gibt nur wenige Themen, die das Land derart beschäftigen wie die Frage eines gerechten Lohns. Es gibt jedoch auch nur wenige Themen, die derart verbissen und an der eigentlichen Problemstellung vorbei geführt werden. Gern wird hier die Wertschöpfung als Maßstab aller Dinge herangezogen. Es ist jedoch problematisch, wenn man die vergleichsweise hohen Löhne der Facharbeiter in der Automobilbranche nun mit der hohen Wertschöpfung ihrer Unternehmen erklärt. Welche Wertschöpfung liegt beispielsweise in der Altenpflege, der Kinderbetreuung oder der häuslichen Arbeit? Ist es gerecht, dass eine qualifizierte Krankenschwester wesentlich weniger Einkommen bezieht als ein ebenso qualifizierter Facharbeiter? 1 Man kann es einem Unternehmen jedoch nicht verbieten, einigen seiner Mitarbeiter exorbitant hohe Gehälter zu zahlen. Darf ein Josef Ackermann zwölf Millionen Euro im Jahr verdienen? Ja, warum denn auch nicht? Während das untere Ende der Lohnspirale aus gutem Grund gesetzlich reglementiert werden muss, ist das obere Ende eine Frage des Verhandlungsgeschicks. Wenn die Aktionäre, also die Besitzer eines Unternehmens, der Meinung sind, Josef Ackermanns Dienste seien zwölf Millionen wert, so ist es ihr gutes Recht, dieses Geld zu zahlen. Genauso wie es das gute Recht des FC Bayern München ist, rund 20 000 Euro pro Tag für den jungen Ballathleten Bastian Schweinsteiger auszugeben. 2 Hohe Gehälter sind kein Problem einer mangelnden Gerechtigkeit, sondern das Problem eines dysfunktionalen Steuersystems. Für Gerechtigkeit ist nicht der Markt, sondern der Staat verantwortlich. Ihm steht mit dem Steuer- und Transfersystem ein mächtiges Schwert zur Verfügung, um Gerechtigkeit ins Lohnsystem zu bringen.
Gäbe es in Deutschland einen Spitzensteuersatz in Höhe von achtzig Prozent für Einkommen über eine Million Euro pro Jahr, könnten sich nicht nur Ackermann und Schweinsteiger, sondern wir alle uns über diese Topgehälter freuen. Solch hohe Steuersätze gab es in Deutschland jedoch noch nie. Andere Länder justierten in der Vergangenheit gern die Stellschrauben des
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