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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Berger
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Deutschland und die Eurozone über die EZB die Rückzahlung der griechischen Anleihen ohne Wenn und Aber garantieren, wäre die Eurokrise damals bereits im Keim erstickt worden. Merkel schlug jedoch sämtliche Warnungen aus, spielte mit dem Feuer und löste ohne Not einen Flächenbrand aus. Statt der neunzig Milliarden Euro, um die es im April 2010 ging, geht es heute um 4 000 Milliarden Euro – so groß müsste ein wirkungsvoller Rettungsschirm nach Berechnungen des Centre for European Policy Studies inzwischen sein. 10
    Die Eurokrise wird fälschlicherweise häufig als Schuldenkrise bezeichnet. Wer schon immer gern dem Neoliberalismus das Wort geredet und die Staatsausgaben – vor allem die für die Sozialsysteme – kritisiert hat, sieht die Eurokrise natürlich als Steilvorlage, um den kalten Kaffee vergangener Jahre erneut aufzuwärmen und zu behaupten, sie sei eine direkte Folge des finanzpolitischen Schlendrians einiger Eurostaaten.
    Vor allem in der schwarz-gelben Bundesregierung sind solche Thesen sehr populär. So ließ Finanzminister Wolfgang Schäuble die Öffentlichkeit in einem Interview mit der ARD -Sendung Plusminus im Sommer 2011 wissen, dass es – seiner Meinung nach – »unter Ökonomen weltweit unbestritten [sei], dass […] die Hauptursache der Krise […] die zu hohe Verschuldung der öffentlichen Haushalte auf der ganzen Welt [sei].« 11 Dies sind zweifelsohne starke Worte, deren Wahrheitsgehalt jedoch gen null tendiert und die den Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugmansogleich zur launig-rhetorischen Frage veranlassten, wer denn diese »Ökonomen« seien – er selbst und die ihm bekannten namhaften Kollegen würden zumindest nicht dazugehören. 12
    Staatsschuldenquote ausgewählter OECD-Staaten

    Quelle: OECD und Japanisches Finanzministerium – Bezug: Schulden der Zentral-/Bundesregierung (Central Government Debt)
    Wenn man sich die statistischen Daten der OECD anschaut, kommt man nur schwerlich darum herum, Krugman in diesem Punkt recht zu geben. 13 Die »zu hohe Verschuldung«, die Wolfgang Schäuble für die Krise verantwortlich macht, entstand bei den allermeisten OECD -Staaten erst ab dem Herbst 2008, also im Kielwasser der Finanzkrise, bei der die Länder ihre angeschlagenen Banken mit Milliarden und Abermilliarden retten mussten. Am Vorabend der Krise hatte Europa kein Schuldenproblem – im Gegenteil, vor allem die Staaten, die heute Probleme mit ihrer Refinanzierung haben, galten noch im September 2008 als wahre Musterknaben. Wer zu den Ursachen der heutigen Eurokrise vorstoßen will, sollte daher auch zwei Perioden unterscheiden: die Zeit vor und die Zeit nach dem bisherigen Höhepunkt der Finanzkrise im September 2008.
    Irland gehörte beispielsweise noch vor dreißig Jahren zu den am höchsten verschuldeten Industrieländern. Aus dem Sorgen-kindwurde in den folgenden zwei Jahrzehnten der Klassenbeste. Am Vorabend der Krise betrug die irische Staatschuldenquote lediglich 19,8 Prozent. In keinem anderen Eurostaat schlug die Finanzkrise jedoch derart vernichtend zu wie in Irland. Der Staat hat nicht nur mit den Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu kämpfen, die in Folge der Krise um mehr als zehn Prozent geschrumpft ist, sondern die irische Regierung hat sich mit der Verstaatlichung der großen Banken an den Rand der Handlungsunfähigkeit manövriert. Bis Ende 2013 soll die Staatsschuldenquote des ehemaligen keltischen Tigers auf 113 Prozent steigen. Diese Gesamtverschuldung wäre noch nicht einmal ein sonderlich großes Problem, wenn Irland seine eigene Währung und eine eigene Notenbank hätte. In einer Währungsunion hat ein einzelner Staat jedoch nicht die Ausweichmöglichkeit, seine Schulden im Notfall durch die eigene Notenbank begleichen zu lassen, und das wissen natürlich auch die Spekulanten, die die Zinsen für irische Staatsanleihen immer weiter in die Höhe getrieben haben. Bei einem Zinssatz von mehr als sechs Prozent ist es nahezu unmöglich, eine solch hohe Zins- und Schuldenlast zu bedienen, geschweige denn abzubauen. Dazu bedürfte es Wachstumsraten, die über dem Zinssatz liegen.
    Infolge der Attacken durch die Spekulanten musste Irland daher als zweites europäisches Land die Hilfe des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Anspruch nehmen, die jedoch keine langfristige Rettung darstellt, da der effektive Zinssatz mit 5,9 Prozent immer noch vergleichsweise hoch ist. Es wird noch sehr lange dauern, bis das 2008 noch vor Gesundheit strotzende Irland

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