Stresstest Deutschland
der nur mit einem Prozent –und somit weit unter der Inflationsmarke – verzinst werden muss, und sollen dafür deutsche Staatsanleihen, die als sicherste Papiere der Welt gelten, kaufen, für die Sie eine garantierte Verzinsung von zwei Prozent bekommen. Würden Sie auch nur eine Sekunde zögern? Leider gibt es solch überaus verlockende Geschenke jedoch nicht für Privatkunden, man muss schon eine Großbank sein, um von den Spendierhosen des Staates zu profitieren.
Wenn man bedenkt, dass allein die deutschen Großbanken deutsche Staatsanleihen im Wert von 411 Milliarden Euro halten, 9 macht dieses Geschenk bei nur einem Prozent Zinsgewinn bereits 4,1 Milliarden Euro aus – pro Jahr, versteht sich. Die eigentlichen Zahlen sind weitaus höher, da die Zinsen für Bundesanleihen erst in den Turbulenzen der Eurokrise auf das derzeitige sehr niedrige Niveau absanken. Wenn Guido Westerwelle über anstrengungslosen Wohlstand philosophiert, sollte er sein Augenmerk künftig einmal auf die Banken richten. Auf die gesamte Eurozone übertragen, könnte man folgende Rechnung aufstellen: Die Länder der Eurozone sind mit insgesamt neun Billionen Euro verschuldet, von denen rund ein Drittel durch europäische Banken finanziert wird. Legt man nun eine Zinsdifferenz von zwei Prozent zwischen Leitzins und Nominalzins der Anleihen zugrunde, beträgt der Zinsgewinn des Bankensektors beachtliche 59,4 Milliarden Euro. Da muss man sich wahrlich nicht wundern, wenn sich der Finanzsektor mit Händen und Füßen gegen jeglichen Vorschlag wehrt, der die Staatsfinanzierung nicht dem privaten Bankensektor, sondern öffentlichen Anstalten oder gar den Zentralbanken übertragen will.
Glaubt man Bankenvertretern und marktliberalen Volkswirten, ist die Staatsfinanzierung über die Finanzmärkte angeblich alternativlos. Hinterfragen wir doch einmal die Kernaussagen dieser Sichtweise. Die Aussage, nach der die Banken die aufgezählten Zinsgewinne einstreichen, ohne dafür eine nennenswerte Eigenleistung zu erbringen, würde wahrscheinlich jedem Marktliberalen die Zornesröte ins Gesicht treiben. Nicht zu Unrecht, da dieBanken in der Theorie bei jedem Kreditgeschäft das Risiko tragen. Seien es Unternehmenskredite, Privatkredite oder auch Hypothekenkredite – immer wieder fallen einige dieser Kredite aus, und die Bank muss die ausstehende Kreditsumme abschreiben. Diese Risikoverteilung gehört schließlich zu den Kernaufgaben des Bankgeschäfts. Bei Staatsanleihen ist dies jedoch ein wenig anders gelagert. Ein Ausfall der deutschen Bundesanleihen wäre gleichbedeutend mit einem Staatsbankrott Deutschlands. Rein theoretisch ist ein solcher Staatsbankrott natürlich nicht auszuschließen, er würde jedoch allein schon wegen seiner verheerenden direkten und indirekten Auswirkungen ohnehin mit dem Zusammenbruch des gesamten Europäischen Bankensystems einhergehen. Daher ist es auch müßig, der Argumentation zu folgen, nach der die Banken eine Art »Risikoabsicherungsprämie« gegen diesen Super- GAU erheben müssten.
Nun ist nicht jede Volkswirtschaft derart »systemrelevant« wie die deutsche. Ein Staat, der in seiner eigenen Währung verschuldet ist und eine souveräne Notenbankpolitik betreiben kann, kann de facto nicht bankrott gehen. Bei sämtlichen Staatspleiten der vergangenen Jahrzehnte war der betreffende Staat nicht in seiner eigenen, sondern in einer Fremdwährung verschuldet. Alle Staatspleiten der Vergangenheit, in denen auch Staaten in den Bankrott gehen mussten, die in ihrer eigenen Währung verschuldet waren, betrafen Währungen, die durch Edelmetalle gedeckt waren. Selbst Zentralbanker können aus Blei kein Gold machen. Wenn ein moderner Staat im Notfall Geld braucht und es nicht an den Finanzmärkten bekommt, kann er sich dieses Geld von seiner eigenen Notenbank schöpfen lassen – man könnte hier auch von »Geld drucken« sprechen. Die Staatsanleihen der USA , Großbritanniens oder Japans haben daher auch kein wirkliches Ausfallrisiko – sie haben allenfalls ein Inflationsrisiko, das in den Kursen gebildet wird.
Möglich ist allerdings, dass die betreffende Währung gegenüber anderen an Wert verliert. Die Eurozone ist jedoch eine Währungsgemeinschaft. Kein Land hat Zugriff auf die EZB, und keinLand kann somit eine souveräne Notenbankpolitik betreiben. Länder der Eurozone sind daher – bildlich betrachtet – nicht in ihrer »eigenen« Währung verschuldet und können theoretisch sehr wohl bankrott gehen, also
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