Stresstest Deutschland
gefährliche »Risikoprämie« ist vielmehr eine Folge des Herdentriebs der Spekulanten, die erkannt haben, dass die Eurozone angreifbar ist und ihre Spekulationsgewinne letztlich von der EU abgesichert werden. Dies war der Startschuss, reihum Länder zum Abschuss freizugeben. Nicht die Schulden, sondern die – nach öko-
nomischen Maßstäben vollkommen unnötige – »Rettung« hat das Zeug, aus einem grundsoliden Land wie Italien einen »Bankrottkandidaten« zu machen. Der als Übergangsregierung eingesetzte Expertenrat unter Leitung des ehemaligen Bankers Mario Monti verabschiedet seit November 2011 ein Sparprogramm nach dem anderen und legt damit den Grundstein, die volkswirtschaftliche Krise hervorzurufen, die aus einer virtuellen eine sehr reale Gefährdung der Eurozone machen kann.
Hurra! Wir sparen uns zu Tode!
Auf sämtliche Refinanzierungsprobleme hat die von Deutschland dominierte EU nur eine Antwort: sparen! Dabei sollte eigentlich bekannt sein, dass man sich in Krisenzeiten nicht durch Sparen sanieren kann. Dieses Kunststück mag der schwäbischen Hausfrau gelingen, da es bei ihr keine Wechselwirkung zwischen Einnahmen und Ausgaben gibt. Schon bei der Betrachtung eines kleinen Betriebs zeigt sich jedoch, dass die in letzter Zeit oft zitierte »Austeriät« (von lat. Austeritas: Enthaltsamkeit, strenge Einfachheit) eine Sackgasse ist. Was macht beispielsweise eine Eckkneipe, deren Wirt merkt, dass die Ausgaben langfristig die Einnahmen übersteigen? Er könnte Angela Merkels Leitbild folgen und sparen. Die Kühlung für das Bier kostet Geld, also abschalten! Ist eine Beleuchtung nach 22 Uhr wirklich notwendig? Abschalten und sparen! Teure GEMA -Gebühren für die musikalische Berieselung? Sollen die Gäste doch selbst singen, die Zeiten sind schließlich hart. Jeder kann sich denken, wohin dieses Kneipen-Austeritätsprogramm führt. Investiert der Wirt jedoch in Werbung oder eine gefälligere Ausstattung, kann es durchaus sein, dass er seine Einnahmen steigert und plötzlich wieder Profit macht.
Eine Volkswirtschaft ist natürlich keine Kneipe. Der größte Unterschied zwischen der Volkswirtschaft und der »Wirtschaft« ist, dass in einer Volkswirtschaft die Ausgaben ganz direkte Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben der nächsten Zeitperiode haben. Wernur sparen will, erreicht daher auch oft das genaue Gegenteil. Kürzt man beispielsweise die staatlichen Investitionen und Löhne für Staatsdiener, hat dies direkte Auswirkungen auf andere Wirtschaftssubjekte: Der Bauunternehmer, der ansonsten die geplante Schnellstraße gebaut hätte, muss einen Teil seiner Arbeiter entlassen und zahlt weniger oder gar keine Steuern mehr, da er Verluste macht. Die entlassenen Arbeiter zahlen natürlich auch keine Einkommensteuer mehr, stattdessen produziert ihre Erwerbslosigkeit Kosten, die vorher nicht anfielen. Die schlechter verdienenden Staatsdiener geben weniger Geld aus, was nicht nur die Mehrwertsteuereinnahmen belastet, sondern auch sämtliche Wirtschaftstreibenden, denen die erzwungene Enthaltsamkeit die Geschäfte verhagelt.
Der Ökonom John Maynard Keynes hat bereits in den 1930er Jahren erkannt, dass der Staat durch seine Wirtschafts- und Finanzpolitik einen überaus großen Einfluss auf die Konjunktur ausübt und mittels konjunktureller Maßnahmen aktiv gegen eine sich abzeichnende Krise vorgehen kann. Keynes nannte ein solches Vorgehen »antizyklisch«: Der Staat sollte also in der Rezession seine Ausgaben erhöhen und während des Wirtschaftsaufschwungs seine Ausgaben zurückfahren, um die Schulden abzuzahlen, die er in Rezessionsphasen aufnehmen musste. Man muss kein Keynesianer sein, um zu erkennen, dass das genaue Gegenteil – nämlich eine prozyklische Ausgabenpolitik, die in Krisen spart und im Aufschwung das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster wirft – nicht sinnvoll sein kann. Hätte der deutsche »Sparkanzler« Heinrich Brüning in seiner Amtszeit von 1930 bis 1932 die Ratschläge des Briten Keynes befolgt, wäre uns und der Welt womöglich das Dritte Reich erspart geblieben.
Die Politik zeigt sich jedoch zum wiederholten Male komplett lernresistent und probiert einmal mehr genau die Medizin, die sich bereits mehrfach als Gift herausgestellt hat. Heinrich Brüning baute im öffentlichen Dienst Stellen ab, kürzte die Gehälter und fuhr gleichzeitig die staatlichen Investitionen auf ein Minimum zurück. Dieses Musterbeispiel einer Austeritätspolitik, das durchaus als Blaupause
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