Stresstest Deutschland
für die Sparprogramme gelten kann, mitdenen heute Griechenland, Portugal und Irland malträtiert werden, führte jedoch nicht zu einer Besserung der volkswirtschaftlichen Lage. Die Arbeitslosigkeit stieg stattdessen rasant an, die Preise purzelten in den Keller, die Staatseinnahmen gingen massiv zurück, und noch nicht einmal die Staatsverschuldung – die damals abgesehen von den Reparationsleistungen, die im Versailler Vertrag festgelegt worden waren, keine große Rolle spielte – konnte saniert werden. Die von Brüning fahrlässig herbeigeführte Krise verhalf schließlich den Nationalsozialisten zur Machtübernahme. Kaum im Amt, öffneten sie alle Kreditschleusen und betrieben – vor allem unter dem späteren Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht – eine großangelegte Ausweitung der Staatsverschuldung, die jedoch ab 1934 ebenfalls prozyklisch war, da bereits die ersten Konjunkturprogramme die Rezession beendet hatten. Diese Politik führt bis heute zu der hinter vorgehaltener Hand geäußerten Behauptung, Hitler habe die Leute angeblich wieder in Lohn und Brot gebracht. Ohne die Sparpolitik Brünings wäre dies jedoch gar nicht nötig gewesen. Brüning ging somit auch nicht als »knallharter Sanierer« in die Geschichte ein, sondern vielmehr als unfreiwilliger Steigbügelhalter Hitlers.
Eine kompromisslose Sparpolitik hat freilich nicht immer derart dramatische weltgeschichtliche Folgen. In den meisten Fällen führt eine Austeritätspolitik schlicht zu Armut, Rezession und höheren Schulden, die letzten Endes durch eine Umschuldung abgeschrieben werden müssen. Als Beispiel einer erfolglosen Austeritätspolitik kann Mexiko gelten, das Anfang der 1980er Jahre durch seine hohe Fremdverschuldung in US -Dollar in eine Schuldenkrise geriet. Der IWF und die Weltbank zwangen das Land, als Gegenleistung für neue Kredite ein radikales Sparprogramm umzusetzen. Die Wirtschaft brach daraufhin ein, Arbeitslosigkeit und Massenarmut drohten die als »mexikanisches Wunder« bezeichnete Periode des Wirtschaftswachstums von 1940 bis 1970 rückgängig zu machen, und die Staatsverschuldung erklomm von Jahr zu Jahr neue Höchststände. Schlussendlich retteten die USA Mexiko – und vor allem die US -Banken, die Mexiko Geld geliehen hatten –, indem sie Mexikoindirekt das Geld liehen, das das Land benötigte, um seine nun massiv abgewerteten Altschulden zurückzukaufen. Erst als sich das Land Ende der 1980er Jahre vom Sparknebel des IWF befreien konnte, kam die mexikanische Volkswirtschaft wieder in Gang. 2003 konnte Mexiko die letzte der Hilfsanleihen der USA bedienen.
Ein wenig dramatischer ging die argentinische Staatsschuldenkrise aus. Auch Argentinien war nach einer Phase neoliberaler Wirtschaftspolitik zu Beginn dieses Jahrtausends extrem hoch in der Fremdwährung US -Dollar verschuldet. Um frische Devisen zu bekommen, musste sich das Land vom IWF unter der Führung des späteren Bundespräsidenten Horst Köhler ein Sparprogramm nach dem anderen diktieren lassen. Auch hier waren die Auswirkungen fatal: Massenarbeitslosigkeit, Rezession und eine Erhöhung der Staatsverschuldung. Erst der radikale Schnitt in Form eines Staatsbankrotts war der langersehnte Befreiungsschlag.
Es gibt viele weitere Beispiele für die kontraproduktive Wirkung von Sparprogrammen in Krisenzeiten. Aber selbst die Befürworter von Austeritätsprogrammen können auf kein einziges Beispiel verweisen, das den erwünschten Erfolg dieser Programme belegen könnte.
Schockstrategie: Kann die Welt am deutschen Wesen genesen?
Während die Länder Südeuropas unter dem Joch der Spekulation an den Finanzmärkten leiden, konnten andere Länder ihre finanzpolitische Situation in den letzten beiden Jahren merklich verbessern. Beleg dafür sind die deutlich gesunkenen Zinsen für Staatsanleihen, von denen nicht nur Deutschland, sondern auch Länder wie Großbritannien, Japan und die USA profitieren. Davon wird jedoch in den deutschen Medien nur sehr selten berichtet. Wenn Politiker und Journalisten den Eindruck vermitteln wollen, dass die Folgen der Finanzkrise zu einem »fundamentalen Vertrauensverlust« in den Staat geführt hätten, dann ist diesfundamentaler Unsinn. Deutschland und Japan, die im Vergleich zu anderen OECD -Staaten relativ unbeschadet aus der Finanzkrise herauskamen, zahlen heute bedeutend weniger für ihren öffentlichen Schuldendienst als vor der Krise.
Großbritannien und die USA müssen zwar mehr Geld als vor der Krise aufwenden.
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