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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Berger
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Staatsschuldenkrise interpretieren. Wir haben es vielmehr mit einem Paradebeispiel für eine Schockstrategie zu tun, wie sie die Autorin Naomi Klein in ihrem gleichnamigen Buch beschrieben hat. 18
    Doch diese Strategie ist keinesfalls risikolos und zudem volkswirtschaftlich grotesk. Wer soll dem Vizeexportweltmeister Deutschland denn seine Waren abkaufen, wenn die gesamte industrialisierte Welt sich zu Tode spart? Schon heute lahmt die Wirtschaft vor allem deshalb, weil die Nachfrage aufgrund sinkender Reallöhne stagniert. Wie sollen Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal ihre Defizite abbauen, wenn Deutschland seine Überschüsse nicht verringern will? Wer soll überhaupt Defizite machen, wenn alle europäischen Staaten Überschüsse erzielen sollen? Die Überschüsse einiger Staaten müssen immer auch zwingend die Defizite anderer sein.
    Will man der neoliberalen Schockstrategie einen Sinn abgewinnen, muss man sich von rationalen Überlegungen verabschieden und sich für einen Moment in die abstruse Gedankenwelt des Wettbewerbs der Nationen begeben. In dieser Gedankenwelt spielt weder das Streben nach Glückseligkeit noch das Allgemeinwohl eine Rolle, es geht nicht um absolute, sondern ausschließlich um relative Marktanteile im Welthandel. Eine solche Gedankenwelt ist die totale Übertragung der Angebotspolitik (siehe Kapitel 4) auf ganze Volkswirtschaften. Nur wer flexibler, billiger und unternehmensfreundlicher ist, wird in diesem Wettbewerb überleben. Die Menschen sind in dieser Vorstellungswelt lediglichHumankapital, ein Produktions- und somit Kostenfaktor unter vielen, der minimiert werden muss. Deutschland wurde unter diesem ideologischen Masterplan einst Exportweltmeister. Angela Merkel formulierte ihre große Vision am Rande des EU -Gipfels im November 2011 in dem bemerkenswerten Satz: »Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit für unsere Kinder und Enkel erhalten.« 19 Und damit meinte sie nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Man muss diesen Satz nur einmal mit den europapolitischen Visionen ihrer Amtsvorgänger vergleichen, um zu verstehen, auf welches historische Tief wir gesunken sind.
    Die Frage, die man sich hier stellen muss, ist jedoch: Wer soll in einer Welt der Billigproduzenten eigentlich noch die Produkte und Dienstleistungen als Endkunde abnehmen? China? Das rohstoffreiche Russland?
    Länder, die sich auf den neoliberalen Wettbewerb der Nationen einlassen, fallen zumindest in der Breite als Kunden aus, da sie aufgrund der niedrigen Lohnkosten keine nennenswerte Nachfrage generieren können. Der Kuchen wird kleiner, in der Gedankenwelt des Wettbewerbs zählt jedoch nicht die Größe des Kuchens, sondern ausschließlich die relative Größe des eigenen Kuchenstücks. Angela Merkel scheint diese Sichtweise verinnerlicht zu haben, anders lässt sich auch ihr Krisenfazit von Anfang 2011, dass wir »gestärkt aus der Krise hervorgegangen sind«, 20 nicht erklären. Sicher, wenn man die eigene Stadt anzündet und vom eigenen Haus nur der Dachstuhl abrennt, während der Rest der Stadt bis auf die Grundmauern niederbrennt, geht man – relativ betrachtet – stärker als andere aus diesem Brand hervor. Kann oder besser darf eine solch destruktive Vorstellung aber ein politisches Leitbild sein?
    Es ist sehr wahrscheinlich, dass die deutsche Hegemonialpolitik nicht nur die Europäische Währungsunion, sondern auch die Europäische Integration und sogar den Europäischen Gedanken an die Wand fahren wird. Wenn Angela Merkel denkt, ganz Europa und vielleicht sogar die ganze Welt würde sich von Deutschland einen selbstzerstörerischen Sparkurs aufzwingen lassen und dessen katastrophale Auswirkungen folgenlos hinnehmen,dann könnte sie sehr bald von ihrem hohen Ross gestoßen werden. Sie sägt nicht nur der extrem exportlastigen deutschen Wirtschaft den Ast ab, sondern sie isoliert Deutschland auch politisch von seinen Nachbarn und zerstört das über Jahrzehnte mühselig aufgebaute Vertrauen in die Europäische Vereinigung. Wir wären wieder in den Zeiten vor 1914 angekommen und damit um hundert Jahre zurückgeworfen.
    Eurobonds als Ausweg aus der Eurokrise
    Die Eurokrise hätte bereits sehr früh im Keim erstickt werden können. Als die griechische Regierung im Spätherbst 2009 »entdeckte«, dass ihre Vorgängerregierung jahrelang massiv geschönte Statistiken nach Brüssel gemeldet hatte, und daraufhin ihre Staatsschulden massiv nach oben korrigieren musste, hätte bereits ein Zeichen der

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