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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Berger
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Dies liegt jedoch an der astronomischen Neuverschuldung dieser beiden Länder, die ihren ausufernden Finanzsektor mit staatlichen Geldern retten mussten. Großbritanniens Staatsverschuldung hat sich durch die Krise in den Jahren von 2007 bis 2010 von 42,7 Prozent auf 85,5 Prozent (gemessen am BIP ) mehr als verdoppelt. 15 Von einem Vertrauensverlust der Märkte spüren die Briten dennoch nichts. Die Verzinsung ihrer Staatsanleihen ist seit 2007 kontinuierlich rückläufig – gleiches gilt für die USA . Einzig und allein Frankreich musste als größerer OECD -Staat im letzten Jahr eine Steigerung der Zinsen hinnehmen – dies jedoch auf niedrigem Niveau und immer noch weit unter der »Vorkrisenverzinsung« von 2007.
    Bereits diese Entwicklung zeigt, dass es sich bei der Eurokrise weder um eine Staatsschuldenkrise noch um eine Vertrauenskrise der Märkte handelt, sondern um einen gezielten Angriff auf die schwächsten Glieder in einem Währungssystem, das sich nicht gegen solche Angriffe abgesichert hat. Die Anleger misstrauen den anderen Staaten nicht, sondern vertrauen ihnen so stark, dass sie ihnen ihr Geld zu einem Zinssatz leihen, der oft niedriger als die Inflationsrate ist. Wenn irgendwo ein »fundamentaler Vertrauensverlust« auszumachen ist, dann richtet er sich gegen die Banken, die sich noch nicht einmal selbst vertrauen und ihre liquiden Mittel lieber zum Einlagezinssatz von nur 0,75 Prozent bei der EZB parken, als sie anderen Banken zu einem höheren Zinssatz zu leihen.
    Auch Deutschland profitiert von den sinkenden Zinsen für Staatsanleihen von Ländern, die als besonders solide gelten. Im Jahre 2007 betrug die Gesamtverschuldung des Bundes 962 Milliarden Euro. Dies entsprach 39,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für die Zinslasten musste der Bundeshaushalt damals
    38,8 Milliarden Euro bereitstellen – dies entspricht rechnerisch einem durchschnittlichen Zinssatz von vier Prozent und einem Anteil von rund 1,7 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. 16
    Im Jahre 2011 betrug die Gesamtverschuldung des Bundes 1 150 Milliarden Euro. Dies entsprach 44,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 17 Die Schulden sind sowohl absolut als auch relativ gestiegen, die Zinslast ist jedoch merklich gesunken. Für die Zinslasten musste der Bundeshaushalt im letzten Jahr nur noch 37,1 Milliarden Euro bereitstellen – dies entspricht einem durchschnittlichen Zinssatz von 3,2 Prozent und einem Anteil von rund 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Finanzkrise hat somit nicht nur zu einer nur geringfügig höheren Gesamtverschuldung, sondern sogar zu einer signifikanten Reduzierung der relativen und absoluten Kosten der Verschuldung geführt.
    Die populäre Behauptung, nach der Deutschland aufgrund der Schuldenproblematik keinen Spielraum hätte, um haushaltspolitisch gegen die massiven Folgen der Finanzkrise anzugehen, ist bei näherer Betrachtung nicht haltbar. Doch statt mit Hilfe antizyklischer Finanz- und Wirtschaftspolitik die Krisenfolgen einzudämmen, die Binnennachfrage zu stärken und damit als stärkste Europäische Volkswirtschaft die dringend benötigte Rolle einer Wachstumslokomotive zu übernehmen, verfolgt die deutsche Regierung eine prozyklische Sparpolitik und nutzt ihren gewonnenen Einfluss darüber hinaus auch noch dazu, ihre neoliberale Schockstrategie auf die gesamte Eurozone auszudehnen. Deutschland nutzt die Gunst der Stunde, um ganz Europa auf den neoliberalen Kurs deutscher Machart zu zwingen.
    Wie leider kaum anders zu erwarten, erhält die Regierung dabei von den Medien die bestmögliche propagandistische Schützenhilfe. In der öffentlichen Meinung wurde aus einer spekulationsbedingten Refinanzierungskrise einiger Europäischer Staaten eine »Schuldenkrise«. Politische Ideen, die die neoliberale Theorie und Praxis widerlegen, werden als »falsches Signal an die Märkte« desavouiert – gerade so, als seien Spekulanten ein legiti-merund legitimierter Schiedsrichter bei volkswirtschaftlichen Fragen.
    Schaut man sich die Krisenstrategie für Länder wie Griechenland, Portugal oder Italien an, drängt sich jedoch die Frage auf, was der neoliberale Kurs, den die Troika mit ihren Forderungen bis ins kleinste Detail vorschreibt, eigentlich mit den Staatsfinanzen zu tun haben soll. Die in diesen Ländern nun umzusetzende Liberalisierung des Arbeitsmarktes und die Aufhebung bestehender Kündigungsschutzregeln lassen sich nur mit sehr viel Phantasie als Antwort auf eine vermeintliche

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