Stresstest Deutschland
Solidarität aus Berlin, Paris und Brüssel ausgereicht, um die Situation nachhaltig zu entschärfen.
Um Auswege aus der Eurokrise zu finden, muss man sich zunächst einmal vergegenwärtigen, wie und warum die attackierten Staaten in die Enge getrieben wurden und werden. Volkswirtschaftliche Kennzahlen spielen bei den Entscheidungen der Akteure am Finanzmarkt eine eher untergeordnete Rolle, wie nicht zuletzt der bereits erwähnte Vergleich von Spanien mit Großbritannien zeigt. Investoren und Spekulanten stellen sich – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – zwei grundlegende Fragen:
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eines teilweisen oder kompletten Zahlungsausfalls?
Wie groß ist das Währungsrisiko zwischen der Nominalwährung der Anleihe und der Währung des Investors?
In einem finanzpolitisch souveränen Land wie Großbritannien, das in seiner eigenen Währung verschuldet ist, geht die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls gegen null. Für die Eurostaaten gilt dies aus den bereits genannten Gründen nicht. Nun wissen Spekulantenaber, dass sie durch ihre Attacken eine Situation hervorrufen können, in der ein reales Ausfallrisiko entsteht. Sie wissen auch, dass sie ihr makabres Spiel so lange fortsetzen und sich von einer Volkswirtschaft zur nächsten vortasten können, bis die Politik einschreitet. Die Politik will vorerst jedoch nicht einschreiten, sondern gibt den Spekulanten durch ihre Austeritätspolitik sogar noch Schützenhilfe. Wer glaubt, dass die angekündigten Sparpakete die Märkte beruhigen, sollte lieber einen genauen Blick auf die Risikoaufschläge werfen, die die betroffenen Länder bei ihren Anleiheversteigerungen schlucken müssen. Nach jeder Ankündigung eines neuen Sparprogramms sinken die Zinsaufschläge nicht etwa, sondern sie steigen. Diese Reaktion der Märkte ist absolut rational, da außer den deutschen Medien, die stets das nachplappern, was ihnen die Analysten der Finanzinstitute – die ein Interesse an steigenden Zinsen haben – und Wirtschaftslobbyisten erzählen, niemand daran glaubt, dass man sich durch Sparen sanieren kann.
Um der Spekulation ein Ende zu bereiten, müsste daher das Ausfallrisiko auf ein vertretbares Minimum heruntergefahren werden, will man die Staatsfinanzierung weiterhin über die Finanzmärkte abwickeln. Dieses Ziel erreicht man jedoch nur über eine Haftungsgemeinschaft, die beispielsweise über gemeinsame Anleihen (Eurobonds) umgesetzt werden könnte. Für Eurobonds haftet die gesamte Eurozone, somit wird die erstklassige Sicherheit deutscher, österreichischer, finnischer oder niederländischer Anleihen in die Waagschale geworfen, um die mangelnde Sicherheit von Ländern, die nach Ansicht der Ratingagenturen und der Spekulanten weniger solide sind, auszugleichen. Anstatt nie enden wollende Rettungsschirme aufzuspannen, müssten die Euroländer bei Eurobonds »lediglich« einen Mechanismus entwerfen, der die Haftungsfrage klärt. Allerdings müssten hierfür die EU -Verträge geändert werden, da bei einem solchen Modell die finanziell soliden Länder voll für ihre vermeintlich oder tatsächlich unsolideren Nachbarn haften würden.
Eine Alternative ohne Vertragsänderung wäre hingegen ein Eurobond-Modell, bei dem nicht die Staaten, sondern die nationalenZentralbanken direkt oder über Zweckgesellschaften haften würden. Beide Varianten lehnt Deutschland jedoch kategorisch ab, wobei die Gründe für diese Ablehnung vorgeschoben wirken. Eurobonds, so heißt es in den deutschen Medien, würden den Bundeshaushalt jährlich zusätzlich mit zweistelligen Milliardenbeträgen belasten. Stichwortgeber für diese These war niemand anderes als Hans-Werner Sinn, der über sein ifo-Institut Mehrbelastungen in Höhe von 47 Milliarden Euro ausrechnen ließ. Die zugrundeliegende Berechnung als Milchmädchenrechnung zu bezeichnen, würde jedoch jedes Milchmädchen beleidigen. Das ifo-Institut hat sich bei seiner Berechnung die aktuellen Zinsaufschläge für die Euroländer notiert und aus diesen Werten einen Mittelwert gebildet, der natürlich deutlich über dem Zins deutscher Anleihen liegt. Doch diese Rechnung widerspricht elementaren Regeln des Anleihenmarktes fundamental, da sie komplett ignoriert, dass eine gemeinsame Anleihe wesentlich ausfallsicherer wäre als der Durchschnitt aller einzelnen Anleihen. Eurobonds wären stets so sicher wie Anleihen des »stärksten« Mitgliedslands, das auch in letzter Konsequenz für diese Anleihen haftet.
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