Stromschnellen: Roman (German Edition)
Mal, wenn einer von ihnen seinen Plastikbecher an die Lippen setzte, kreischten Billy und die Kinder vor Vergnügen. Margo lag gerade neben dem schwarzen Labrador Moe auf dem Boden und unterhielt sich knurrend und bellend mit ihm, als Onkel Cal ihr mit der Stiefelspitze in die Rippen stupste. »Hey, Nympho, wenn du auf die Jagd gehen willst, musst du zuerst lernen, wie man einen Hirsch aus der Decke schlägt.«
Margo stand auf und krempelte ihr Kleid abermals an der Taille um. Cal war dafür bekannt, dass er Mädchen Komplimente machte, wenn sie hübsch aussahen, und deshalb gaben sich alle Mühe.
»Wenn du es gleich lernen willst, zeige ich es dir.« Er lallte ein bisschen.
Obwohl ihr Vater ihr geraten hatte, sich von betrunkenen Männern – ihn selbst eingeschlossen – fernzuhalten, folgte Margo ihrem Onkel in den weiß getünchten Schuppen. Sie strich ihr Haar glatt, um sicherzugehen, dass es nicht abstand. Der Holzofen war ausgegangen, aber es war noch warm im Raum. Cal zog seine Jacke aus und warf sie auf den Lehmboden. Margo hatte nicht damit gerechnet, dass Cal sie an sich ziehen würde, und als er es tat, stolperte sie und stieß ihn gegen den von der Decke hängenden aufgebrochenen Tierkadaver, sodass dieser hin und her schwang und sich der Geruch von Blut breitmachte.
Als Cal sie auf den Kopf küsste, drückte Margo ihr Gesicht an seine breite Brust. Sie spürte sein dickes Flanellhemd an ihrer Wange. Sie liebte Cals ledrigen Duft, in den sich ein Hauch von Schweinebraten und Bier mischte. Er griff nach unten, schlang die Arme fest um ihre Beine und hob sie hoch, sodass sich ihre Gesichter auf einer Höhe befanden. Das hatte er früher manchmal getan, als sie noch ein Kind gewesen war. Unlängst war sie fünfzehn geworden.
»Willst du morgen mit mir auf die Jagd gehen? Um fünf Uhr früh?«
Margo nickte, obwohl sie das Entsetzen auf Tante Joannas Gesicht gesehen hatte, als Cal vor ein paar Tagen laut überlegt hatte, Margo und nicht etwa einen ihrer fünf Söhne zum Auftakt der Jagdsaison mitzunehmen. Sie strampelte wie beim Schwimmen mit den Beinen.
Cal hielt sie noch immer einen Fußbreit über dem Boden. Er küsste sie auf den Mund und fragte leise: »Und, wie ist das? Ist das so schlimm?«
Margo unterdrückte ein Stöhnen. In der Schule hatte sie im Treppenhaus ein paar Jungs und in der verlassenen Hütte flussaufwärts einen Freund von Junior geküsst, sie hatte alle möglichen Arten zu küssen ausprobiert – weich und hart, schnell und langsam. Als der Junge und sie sich sicher gewesen waren, dass Junior eingenickt war, hatten sie sich ausgezogen. Margo hatte geglaubt, niemand wüsste, dass sie mit dem Jungen bis zum Letzten gegangen war, aber vielleicht wusste Cal es doch. Cal drehte sie und nahm sie auf den Arm wie eine Braut, die über die Türschwelle getragen wird. Er war der bestaussehende Mann weit und breit, hatte ihre Mutter immer gesagt. Als er Margo auf seine große Jacke legte, versuchte sie ruhig weiter zu atmen. Schon waren seine Hände auf ihr, und sie musste daran denken, wie er ihr das Schießen beigebracht hatte, wie er die Haltung ihrer Hände und Arme korrigiert und ihr erklärt hatte, dass sie den Abzug drücken und nicht ziehen musste. »Der Schuss muss für den Schützen überraschend kommen«, hatte er gesagt, »auch wenn alles, was er tut, darauf ausgerichtet ist.«
»Du bist so schön«, raunte er. »Teufel noch mal!«
Cal war der beste Mann in der Stadt, hatte ihre Mutter gesagt, aber was hätte ihre Mutter hierzu gesagt? Margo wusste, dass es falsch war; sie wusste, dass ihr Vater wütend werden würde, aber sie sagte trotzdem nicht Nein . Nein zu sagen wäre so, als würde man eine Kugel abfeuern – es gab keine Möglichkeit, sie zurückzuholen. Nein zu rufen konnte sie üben, wenn das hier vorbei war, aber zunächst einmal wollte sie Cal vertrauen. Die Jacke unter ihr verrutschte, und als sie den Kopf zur Seite drehte und zur Tür blickte, wurde ihr Ohr auf den schmutzigen Boden gedrückt. Sie roch Blut und Moder und Mäusepisse, während Cal sich in ihr bewegte. Das goldene Licht, das durch das westliche Fenster fiel, wärmte ihre Wange. Plötzlich entdeckte sie das Gesicht eines Mädchens hinter der Scheibe. Zuerst hielt Margo es für ihr eigenes Spiegelbild, doch es war Julie Slocum. Julie hob die Hand an den Mund und war gleich darauf verschwunden.
»Das war doch nicht so schlimm, oder?«, erkundigte sich Cal danach.
Ihr war klar, dass Cal keine
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