Studio 6
und an der Bushaltestelle war ziemlich viel los. Ich bin einfach ins erstbeste Taxi gesprungen und habe ›Hotel International‹ gesagt. Es gab tatsächlich eins, die Leute dort waren total nett.«
»Und du hast in einer Suite gewohnt, aber nur für ein Einzelzimmer bezahlt?«, riet Anne Snapphane.
Annika war verblüfft.
»Woher weißt du das?«
Anne lachte.
»Du hast das richtige Händchen für so etwas, wusstest du das noch nicht?«
Sie lachten gemeinsam und genossen die Nähe der anderen. Das folgende Schweigen war warm und durchlässig.
»Hast du jetzt frei?«, fragte Annika.
»Ja, ich hatte vorgestern meinen letzten Tag. Am zwölf ten geht der Fernsehjob mit so einer Art Herbstauftakt los.
Was wirst du jetzt machen?«
Annika schwieg, der Klumpen wuchs wieder.
»Weiß nicht, so weit hab ich noch gar nicht gedacht. Ich kann immer noch wieder runterfahren und in Istanbul im Hotel arbeiten. Die brauchen Leute im Service und in der Küche.«
»Komm mit nach Piteå«, forderte Anne Snapphane sie auf. »Ich hatte vor, heute Nachmittag stand-by zu fliegen.«
Annika musste wieder lachen.
»Nein danke, ich habe die letzte Nacht schon in diversen Flugzeugsitzen verbracht.«
»Na, dann bist du ja eingewöhnt. Los, komm, warst du überhaupt schon mal nördlich vom Klarälven?«
»Ich habe noch nicht mal richtig ausgepackt«, sagte Annika.
»Umso besser«, meinte Anne. »Meine Eltern haben ein riesiges Haus auf Pitholm, da ist genug Platz für dich. Du kannst morgen wieder nach Hause fahren, wenn du willst.«
Annika betrachtete den trostlosen Haufen nasser Klamotten und fasste einen Entschluss.
»Wo gibt es noch freie Plätze?«
Als sie aufgelegt hatten, rannte Annika in ihr Schlafzimmer und zog die alte Arbeitstasche heraus. Sie warf zwei Paar Unterhosen und ein T-Shirt hinein und sammelte ihr Necessaire vom Fußboden im Wohnzimmer auf.
Bevor sie losging, um sich mit Anne Snapphane am Kungholmstorg zu treffen, holte sie einen Feudel und wischte die Wasserflecken unter dem Fenster auf.
Annika sah sich enttäuscht um.
»Wo sind die Berge?«, fragte sie.
»Jetzt sei nicht so eine dämliche Hauptstadtnudel«, schimpfte Anne Snapphane. »Das hier ist die Küste. Die Riviera des Nordens. Nun komm, der Shuttle steht da drüben.«
Sie liefen über die Asphaltwege, die den Flugplatz von Kallax umgaben. Annika ließ den Blick über die Landschaft schweifen, meist Nadelbäume und plattes Land. Der Himmel war fast wolkenlos, die Sonne schien. Es war ziemlich kalt, vor allem, wenn man gerade aus der Türkei kam. Über ihre Köpfe donnerte ein Militärflugzeug hinweg.
»Eine F 21«, erklärte Anne Snapphane und warf ihre Taschen in den Kofferraum des Taxis.
»Kallax wird auch als Militärflughafen genutzt. Ich habe hier Fallschirmspringen gelernt.«
Annika nahm ihre Tasche auf den Schoß. Es zwängten sich noch zwei Flanellanzüge ins Auto, dann ging es los in Richtung Piteå. Kleine Dörfer sausten vorbei, Feldstücke mit windschiefen Scheunen darauf, doch insgesamt stand der Wald an der E4 sehr dicht. Das Laub leuchtete bereits in Herbstfarben, obwohl es erst Anfang September war.
»Wann wird es hier Winter?«, fragte Annika.
»Ich habe am 7. Oktober Führerschein gemacht, zwei Tage später gab es einen Schneesturm. Ich bin natürlich sofort in den Graben gefahren«, erzählte Anne Snapphane.
Sie blieben an der Kreuzung nach Norrfjärden stehen und ließen einen der Flanellanzüge aussteigen.
Zwanzig Minuten später stiegen Annika und Anne an der Bushaltestelle im Zentrum von Piteå aus und schlossen Annes Taschen in einem Schließfach im Wartesaal ein.
»Mein Vater holt uns in einer Stunde ab. Sollen wir eine Kleinigkeit essen gehen?«
In Ekebergs Konditorei in der Storgatan entschied sich Annika für ein Krabbensandwich. Sie hatte ihren Appetit wiedergefunden.
»Das war eine gute Idee«, sagte sie.
»Hattest du keine Entzugserscheinungen?«, fragte Anne Snapphane. Annika schaute erstaunt auf.
»Wovon denn?«
»Leben. Nachrichten. Minister.«
Annika schnitt sich ein großes Stück von ihrem Sandwich ab.
»Der Journalismus ist mir scheißegal«, erwiderte sie knapp.
»Willst du nicht wissen, was passiert ist?«
Annika schüttelte den Kopf und kaute wie besessen.
»Okay«, meinte Anne Snapphane. »Warum heißt du Bengtzon mit z?«
Annika zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Der Großvater meines Großvaters väterlicherseits, Gottfried, kam Ende 1850 nach Hälleforsnäs. Lasse Celsing,
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