Studio 6
Fernsehgebühren?«, fragte sie. Sie erwartete keine Antwort, sondern wedelte mit der Rechnung, lachte und ging ins Büro.
Annika lächelte die geschlossene Tür an.
Patricia kochte Tee. Annika saß im Wohnzimmer im Sofa und sah in das türkisgraue Dunkel des Zimmers. Sie war furchtbar müde. Sie hatte Blasen von den schrecklichen Sandaletten.
»Wie hältst du das bloß aus?«, fragte sie leise.
Sie empfand Ekel, und wenn sie die Augen schloss, sah sie die magere Nacktheit des Zopfmädchens vor sich.
»Bitte«, sagte Patricia und stellte das Tablett neben das Telefon auf den kleinen Tisch.
»Ich weiß nicht, wie ich auch nur einen Abend noch durchhalten soll«, sagte Annika. »Wie machst du das?«
Patricia lächelte ein wenig, goss Tee in die Tassen, reichte Annika eine und setzte sich aufs Sofa.
»Alle nutzen einen aus«, sagte Patricia. »Im Klub ist es auch nicht schlimmer als woanders.«
Annika nahm einen Schluck und verbrannte sich den Mund.
»Das stimmt nicht«, entgegnete sie. »Es ist schlimmer als die meisten anderen Sachen. Ihr Mädchen im Klub, auch du, habt viele unsichtbare Grenzen überschritten, um dahin zu kommen, wo ihr jetzt seid.« Patricia rührte mit ihrer Zitronenscheibe in der Tasse.
»Vielleicht«, meinte sie. »Tue ich dir Leid?«
Annika dachte nach.
»Nein«, erwiderte sie dann, »eigentlich nicht. Du weißt genau, was du tust. Du hast die Grenzen freiwillig überschritten. Es zeugt von Stärke und von einer gewissen Flexibilität, das tun zu können. Du hast keine Angst, was von Vorteil ist.«
Patricia sah Annika eingehend an.
»Und du?«, fragte sie. »Welche Grenzen hast du überschritten?«
Annika lächelte etwas schief, antwortete aber nicht.
Patricia stellte ihre Tasse auf den Boden, atmete hörbar ein und sah auf ihre Hände.
»An dem Morgen«, sagte sie, »in der letzten Nacht.
Josefine und Joachim haben sich wie verrückt gestritten.
Sie standen da und schrien einander an. Erst im Büro, dann oben auf der Treppe. Josefine rannte raus, und er folgte ihr.«
Annika blieb stumm, sie wusste, dass Patricia ihr großes Vertrauen entgegenbrachte. Patricia schwieg eine Weile, ehe sie fortfuhr.
»Jossie wollte mit dem Klub aufhören, sie wollte freihaben, ehe sie mit ihrer Ausbildung anfing. Sie war an der Universität angenommen worden, im Fachbereich Journalistik. Joachim wollte nicht, dass sie ging. Er versuchte, sie unter Druck zu setzen, sie an den Klub zu binden und dazu zu bringen, ihre Ausbildung aufzugeben. Jossie sagte, dass sie dennoch gehen wolle und genug Geld für ihn verdient hätte, dass es für zehn Brustoperationen reichen würde.
Sie machte Schluss, sagte, dass ihre Beziehung beendet sei. Sie haben sich geschlagen.«
Patricia verstummte wieder. Durch die undichten Fenster drangen allmählich die Geräusche des beginnenden Tages.
Der Nachtbus, der vor der Tür in der Hantverkargatan hielt, die ewigen Feuerwehrsirenen und das Flüstern der Herbstwinde, die von Kälte und Regen erzählten.
»Sie haben sich immer auf dem Friedhof geliebt«, flüsterte sie. »Joachim verschaffte das einen Kick, aber Jossie fand es furchtbar. Sie kletterten auf der Rückseite über den Zaun, dort ist er nicht so hoch. Ich fand es so schrecklich, stell dir vor, zwischen den Gräbern …«
Annika erwiderte nichts, sie saßen lange schweigend da.
Es fing an zu regnen, erst ein paar einzelne Tropfen, dann immer anhaltender.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte Patricia.
»Was denn?«, fragte Annika leise.
»Du überlegst, warum sie bloß bei ihm geblieben ist, warum sie nicht einfach gegangen ist, oder?«
Annika seufzte schwer.
»Ich glaube, ich weiß, warum«, antwortete sie. »Erst war sie verliebt, und er war nett. Dann fing er an, kleine Forderungen zu stellen, liebevolle kleine Sachen, die Josefine goldig fand. Er hatte seine Vorstellungen davon, mit wem sie sich treffen, was sie tun, wie sie reden sollte.
Am Anfang lief alles wunderbar, bis die Blase um sie beide herum platzte und Josefine sich wieder der Welt zuwenden wollte. Studieren, ins Kino gehen, mit Freundinnen am Telefon plauschen. Da wurde Joachim wütend, verlangte, dass sie damit aufhörte und machte, was er wollte. Wenn sie nicht gehorchte, schlug er sie. Hinterher bereute er es dann, weinte und beteuerte, dass er sie liebte.«
Patricia nickte erstaunt.
»Woher weißt du das alles?«
Annika lächelte traurig.
»Es gibt Bücher über Gewalt gegen Frauen«, erklärte sie. »Die Abendzeitungen
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