Studio 6
Patricia?«
Der Pressesprecher zögerte.
»Bitte respektieren Sie doch, was ich sage«, antwortete er. »Ich kann Ihnen keine Details geben, so weit sind wir noch nicht. Bisher ist noch niemand des Mordes verdächtigt. Die Polizei arbeitet weiterhin ohne Vorbehalte bei der Jagd nach Josefines Mörder.«
Annika sah ein, dass sie nicht weiterkommen würde.
Also bedankte sie sich, legte auf und rief bei Oberstaatsanwalt Kjell Lindström an. Er war den ganzen Tag bei Gericht. Sie resignierte. Da konnte sie genauso gut runter zu den Sieben Ratten gehen und etwas essen.
»Da ist eine Nachricht für Sie«, sagte der Dienst habende Wachmann in der Zentrale schlecht gelaunt, als sie auf dem Weg hinauf an ihm vorbeikam.
Martin Larsson-Berg, der stellvertretende Rektor von Josefines Gymnasium, hatte nach ihr gefragt. Die Nummer, die er hinterlassen hatte, war nicht seine Privatnummer, sondern schien eine Verbindung über eine Zentrale zu sein.
»Wie schön, dass Sie anrufen«, sagte er forsch. »Wir haben das Jugendzentrum von Täby schon eine Woche früher als geplant geöffnet.«
»Aha«, sagte Annika, »und warum?«
»Die Trauer um Josefine muss ausgelebt werden können«, erwiderte er. »Wir haben hier einen Krisenstab, damit wir uns um all die verzweifelten Jugendlichen kümmern können. Tutoren, Psychologen, Pfarrer, Gruppenleiter, Lehrer … Die Schule macht mobil, um den schweren Problemen begegnen zu können.«
Annika war im Zweifel.
»Hatte Josefine denn wirklich so viele Freunde?«
Martin Larsson-Berg klang sehr ernst, als er antwortete.
»Ein solches Gewaltverbrechen erschüttert eine ganze Generation. Wir von Seiten der Schule haben das Gefühl, dass wir für die Schüler da sein und ihnen bei der Bewältigung ihres Traumas helfen müssen. Einen kollektiven Schmerz wie diesen darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Und jetzt möchten Sie wahrscheinlich, dass wir darüber berichten«, vermutete Annika.
»Wir finden es wichtig, als Vorbild für andere in einer ähnlichen Situation dienen zu können«, erklärte er. »Wir wollen zeigen, dass man weiterleben kann. Das verlangt natürlich Engagement und Möglichkeiten, und das alles haben wir hier.«
»Würden Sie bitte einen Moment warten?«, bat sie und ging zu Spiken hinüber.
Der Nachrichtenchef hing einmal mehr am Telefon.
»Wollen wir Trauerorgien aus Täby haben?«, fragte Annika, ohne zu warten, bis er fertig gesprochen hatte.
»Was bitte?«, fragte Spiken und presste den Hörer an den Bauch.
»Der Rektor hat im Jugendzentrum eine Krisenstelle eröffnet. Wollen wir darüber berichten?«
»Fahren Sie hin«, sagte Spiken und hob den Hörer wieder ans Ohr. Annika kehrte auf ihren Platz zurück.
»Wo sind Sie jetzt gerade?«
Sie fuhr mit einem Fotografen namens Pettersson, der vorübergehend als Sommervertretung bei der Zeitung arbeitete. Er hatte einen klapprigen Golf, dessen Motor an jeder zweiten Kreuzung ausging.
Ich werde nie wieder über Bertil Strand meckern, dachte Annika insgeheim.
Das Jugendzentrum war in einem rostroten Gebäude aus den siebziger Jahren untergebracht und mit einer Küche, einem Billardzimmer und einigen Fernsehsofas ausgestattet. Der meiste Platz wurde natürlich von den Jungen eingenommen. Die Mädchen hockten alle in einer Ecke.
Einige von ihnen weinten. Annika und der Fotograf drehten schnell eine Runde, ehe Martin Larsson-Berg sie begrüßte.
»Es ist wichtig, dass wir die Gefühle der Jugendlichen ernst nehmen«, sagte er mit sorgenvoller Miene. »Wir werden für den Rest der Woche rund um die Uhr geöffnet haben.«
Annika machte sich Notizen. Sie fühlte sich nicht wohl.
Der Geräuschpegel in den Räumen war hoch. Die Jugendlichen waren erregt und ließen ihren Gefühlen freien Raum. Sie schrien einander an, und die Nerven lagen bloß.
Im Billardzimmer versuchten zwei Jungen einem Mädchen das T-Shirt auszuziehen. Sie hörten erst auf, als die Tutorin sie ermahnte.
»Lotta benimmt sich manchmal etwas provozierend«, sagte Martin Larsson-Berg entschuldigend.
Annika starrte ihn verwundert an.
»Heißt das, dass Sie das Verhalten der Jungen verteidigen?«
»Sie haben es im Moment nicht leicht, sie haben heute Nacht nicht sonderlich viel geschlafen«, erklärte der stellvertretende Rektor. »Das hier ist Lisbeth, die Sozialarbeiterin.«
Annika und Pettersson stellten sich vor.
»Es erscheint uns sehr wichtig, alles ernsthaft zur Sprache zu bringen«, erklärte die Sozialarbeiterin, »und
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