Studio 6
allein, das müssen wir zusammen tun.
Aber Sie sind die Lokführer, die Heizer und die Schaffner.
Sie sprechen mit den Passagieren, und Sie pfeifen auf dem Bahnsteig, damit wir pünktlich sind. Ich werde die Abfahrtszeiten koordinieren, darauf achten, dass wir an die richtigen Orte fahren und dass auf dem ganzen Weg Schienen verlegt sind. Ich bin kein Maschinist, habe allerdings den Ehrgeiz, irgendwann einmal, wenn Sie mir alles beigebracht haben, was ich nicht weiß, einer zu werden. Doch momentan bin ich nur eins: Publizist.«
Er drehte sich um und schaute zur Sportredaktion hinüber, so dass Annika nur seinen breiten Rücken sehen konnte. Die Stimme trug fast genauso gut.
»Ich hege eine tiefe Begeisterung für den Journalismus, und mein Auftraggeber ist der gewöhnliche Durch schnittsmensch. Ich habe mein ganzes Arbeitsleben lang gegen Korruption und Machtmissbrauch gekämpft. Das ist der Kern des Journalismus. Die Wahrheit ist meine Richtschnur, nicht Einfluss oder Macht.«
Er wandte sich halb um, und Annika sah ihn nun im Profil.
»Ich weiß, dass das große Worte sind, aber ich versuche, nicht prätentiös, sondern ehrgeizig zu sein. Ich habe diesen Job nicht angenommen, um ein großes Gehalt und einen prestigeträchtigen Titel zu haben, auch wenn das dazugehört. Ich bin aus einem einzigen Grund hierher gekommen, nämlich, um mit Ihnen arbeiten zu dürfen.«
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Spikens Telefon klingelte, und er legte schnell den Hörer neben die Gabel.
»Gemeinsam können wir diese Zeitung zur größten Schwedens machen«, sagte Anders Schyman. »Alle Qualitäten, die dazu erforderlich sind, gibt es hier bereits, vor allem durch Sie. Die Angestellten. Die Journalisten.
Sie sind der Kopf und das Herz der Zeitung. Irgendwann werden wir es schaffen, dass alle Herzen im selben Takt schlagen, und das Dröhnen, das dadurch entsteht, wird Mauern einreißen können. Sie werden sehen, dass ich Recht habe.«
Ohne noch mehr zu sagen, machte er einen Schritt über die Kante des Schreibtisches und landete mit einem weichen Sprung auf dem Boden. Das Murmeln hob wieder an.
»Erstaunlich«, sagte Carl Wennergren, der plötzlich neben ihr stand.
»In der Tat«, meinte Annika, die von dem Charisma des Mannes immer noch ganz hingerissen war.
»Ein vergleichbares Gelaber habe ich nicht mehr gehört seit der Rede meines Alten anlässlich meines Abiturs. Seid ihr weitergekommen?«
Annika drehte sich um und ging zu ihrem Platz zurück.
»Die Polizei hat einen Verdächtigen«, sagte sie.
»Woher weißt du das?«, fragte Carl Wennergren skeptisch.
Annika setzte sich und sah ihm in die Augen.
»Die Sache ist ganz einfach. Es ist ihr Freund. So ist es doch meistens.«
»Ist er festgenommen worden?«
»Nee, er steht nicht mal offiziell unter Verdacht.«
»Dann können wir es ja nicht veröffentlichen«, meinte Carl.
»Das ist eine Frage der Formulierung«, meinte Annika.
»Was hast du gemacht?«
»Ich habe mein Tagebuch von der Regatta geschrieben.
Die vom Sport wollten es haben. Willst du es lesen?«
Annika lächelte etwas schief.
»Im Moment nicht.«
Carl Wennergren ließ sich wieder auf ihrem Schreibtisch nieder. »Das war ja ein richtiger Durchbruch für dich, dieser Mord«, meinte er.
Annika warf ein paar Telexausdrucke in den Papierkorb.
»So würde ich es nun nicht gerade sehen«, erwiderte sie.
»Leitartikel und die Eins zwei Tage hintereinander, das hat diesen Sommer noch keine Vertretung geschafft«, sagte Carl Wennergren. »Außer dir natürlich«, sagte Annika mit einem sanften Lächeln.
»Ja, ja klar, aber ich hatte andere Voraussetzungen, schließlich habe ich schon mein Praktikum hier gemacht.«
Und dein Papa ist einer der Herausgeber, dachte Annika, sagte aber nichts. Carl stand auf.
»Ich fahre zum Tatort und suche mir ein paar Trauernde«, warf er ihr über die Schulter zu.
Annika nickte und wandte sich ihrem Computer zu. Sie öffnete ein neues Dokument und schlug einen dramatischen Ton an:
»Der Polizei ist ein Durchbruch bei der Suche nach dem Mörder von Josefine Liljeberg gelungen …«
Weiter kam sie nicht, weil das Idiotentelefon klingelte.
Sie knurrte wütend und griff sich den Hörer.
»Jetzt ist es genug«, zischte eine Frauenstimme.
»Das finde ich auch«, sagte Annika.
»Wir werden uns die Willkür des Patriarchats nicht länger bieten lassen.«
»Ganz meine Meinung«, pflichtete Annika bei.
»Wir werden uns rächen, und zwar mit Blut
Weitere Kostenlose Bücher