Studio 6
Küche ins Esszimmer, dann ins Wohnzimmer und dann zurück in den Flur.
»Jetzt müssen Sie gehen«, erklärte der Minister, der im Türrahmen zum Wohnzimmer stand.
Sie betrachtete den Mann vor sich genau. Er sah müde und blass aus, trug ein weißes Hemd, das zu knöpfen er sich nicht die Mühe gemacht hatte, und eine schwarze, zerknitterte Hose. Die Haare standen ihm zu Berge, er war unrasiert.
Er sieht gut aus, dachte Annika. Sie lächelte.
»Danke«, meinte sie. »Not kennt kein Gebot.«
Die Worte hingen in all ihrer Doppeldeutigkeit zwischen ihnen. Er drehte sich auf dem Absatz um und ging ins Wohnzimmer.
»Machen Sie die Tür hinter sich zu«, sagte er.
Sie folgte ihm.
»Ich glaube nicht, dass Sie es getan haben«, erklärte sie.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte er.
»Recherche«, erwiderte sie.
Ohne zu antworten, setzte er sich aufs Bett. Annika baute sich vor ihm auf.
»Aber Sie haben etwas gesehen, oder? Deshalb werden Sie verhört, stimmt’s?«
Der Minister sah mit müdem Blick zu ihr hoch.
»Nahezu niemand weiß, wo ich wohne«, beharrte er.
»Woher wussten Sie, dass ich hier sein würde?«
Annika schaute ihn prüfend an.
»Sie verbergen etwas, nicht wahr? Was ist es, was können Sie nicht erzählen?«
Der Minister erhob sich abrupt und stellte sich dicht vor sie.
»Einen Dreck wissen Sie«, donnerte er. »Verschwinden Sie von hier, ehe ich Sie rausschmeiße!«
Annika schluckte, hielt beschwichtigend die Hände hoch und zog sich zur Tür zurück.
»In Ordnung«, sagte sie. »Ich gehe jetzt. Danke, dass ich die Toilette benutzen durfte …«
Sie ging rasch durch die Tür und schloss sie leise hinter sich. Auf der ersten Etage holte sie Hessler ein.
»Großartiger Sommer, nicht wahr?«, sagte sie.
Der Minister knöpfte sich das Hemd zu. Er konnte genauso gut gleich zum Polizeipräsidium hinuntergehen.
Er setzte sich mit einem kleinen Seufzer aufs Bett und machte sich die Schuhe zu.
Was für miese Tricks die sich einfallen lassen, dachte er, und sah zur Tür, hinter der die Reporterin verschwunden war. MUSS pinkeln, du meine Güte!
Er stand auf und zögerte, ob er ein Sakko anziehen sollte. Er entschied sich für eines aus hellem Leinen.
Wie hatte sie ihn bloß aufgespürt, verdammt nochmal?
Nicht einmal Karina Björnlund wusste, wo er wohnte, wenn er sich in Stockholm aufhielt. Sie rief ihn immer auf dem Handy an.
Das Telefon klingelte, aber diesmal das gewöhnliche, nicht das Handy. Er nahm sofort ab. Nur eine Hand voll Leute kannte diese Nummer.
»Wie geht es dir?«
Seine Frau, beunruhigt. Er ließ sich wieder aufs Bett sinken, und zu seinem eigenen Erstaunen fing er an zu weinen.
»Aber, Liebling, sag doch, was los ist!«
Auch sie weinte.
»Seid ihr jetzt bei Stina?«
»Gestern angekommen.«
Er schnäuzte sich.
»Ich kann es nicht erzählen.«
»Ist denn etwas dran?«
Er strich sich mit der Hand über die Stirn.
»Wie kannst du das fragen?«
»Was soll ich denn glauben?«
Verunsichert, ängstlich, misstrauisch.
»Glaubst du etwa, dass ich einen … Mord begehen könnte?«
Sie zögerte.
»Nicht aus eigenen Motiven«, antwortete sie dann.
»Aber wenn …«
»Es gibt nichts, was du nicht für die Partei tun würdest«, fügte sie in resigniertem Tonfall hinzu.
Q ging an den Apparat. Annika war außer sich vor Freude, aber es sollte ein kurzes Vergnügen werden.
»Ich kann überhaupt nichts sagen«, zischte er.
»Wird der Minister wirklich verdächtigt?«, fragte Annika, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. Er lachte grob.
»Was für eine unglaublich intelligente Frage. Sind Sie da etwa von selbst darauf gekommen?«
»Irgendetwas an ihm ist seltsam«, beharrte Annika. »Er hat Angst, dass etwas rauskommen könnte. Was verbirgt er?«
Das Lachen erstarb und wurde von einem kurzen Schweigen gefolgt.
»Woher haben Sie das alles?«, fragte der Polizist.
»Ich höre zu, sammele, halte die Augen auf. Er wohnt ziemlich nahe am Tatort.«
»Das haben Sie also schon herausbekommen.«
»Hat das etwas mit der Sache zu tun?«
»Alle Mieter der Sankt-Göransgatan 64 sind verhört worden.«
»Es handelt sich um eine Eigentümergemeinschaft.«
»Wie?«
»Es sind keine Mieter, sondern Eigentümer.«
»Ja, von mir aus«, gab der Kripomann zurück.
»Glauben Sie wirklich, dass er es getan haben könnte?«
Q überlegte.
»Es ist vorstellbar«, sagte er dann.
Annika war fassungslos.
»Aber … der Freund, Joachim?
Weitere Kostenlose Bücher