Studio 6
Unterschrift mit Foto geben.
Sie sah durch, was die anderen Zeitungen über den Minister und den Mordverdacht geschrieben hatten. Keine konzentrierte sich sonderlich darauf. Die Zeitungen der Morgenpresse hatten Hinweise darauf, dass Minister Christer Lundgren im Rahmen der Ermittlungen zu einem Mord an einer Frau in Stockholm gehört worden sei, das Konkurrenzblatt aus der Abendpresse nahm ungefähr dieselbe Haltung in der Sache ein wie das
Abendblatt.
Annika fragte sich, wie Studio 6 seiner Sache nur so sicher sein konnte. Sie mussten doch gewusst haben, womit sie an die Öffentlichkeit traten. Da würde garantiert noch mehr kommen. Der bloße Gedanke daran verursachte ihr Unbehagen, und sie fragte sich, warum sie sich nur so entsetzlich schuldig fühlte.
Die Luft war trotz der Klimaanlage stickig und heiß. Sie ging zur Toilette und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Ich muss diese Sache klären, sagte sie zu sich selbst. Ich muss weiterkommen. Was habe ich übersehen?
Sie lehnte die Stirn an den Spiegel und schloss die Augen. Das Glas war eiskalt, und die Kälte breitete sich in ihren Nebenhöhlen und im Schädel aus.
Die alte Tante, dachte sie. Die dicke Frau mit dem Hund, Daniellas Nachbarin.
Sie trocknete sich das Gesicht mit einem Papierhandtuch ab. Auf dem Spiegel blieb ein Fleck aus Schweiß, Fett und Wasser zurück.
Der neue Ressortchef Anders Schyman war besorgt.
Natürlich war ihm klar gewesen, welche ethischen Probleme ihm seine neue Position einbringen würde, doch er hätte es lieber gesehen, wenn ein oder zwei Tage vergangen wären, ehe er akrobatische Analysen am Trapez der Moral unternehmen müsste. Was war denn das für eine hysterische Geschichte, auf die Carl Wennergren da gestoßen war? Eine feministische Terrorgruppe, die Autos in Brand setzte und Polizisten bedrohte, was, um Himmels willen, sollte das bedeuten? Und nicht eine einzige kritische Reaktion, nur der vorhersehbare Kommentar des Pressesprechers, dass man das Geschehene mit äußerstem Ernst betrachte und alle notwendigen Schritte eingeleitet habe, um die gewalttätigen Personen möglichst rasch dingfest machen zu können.
Der Redaktionschef wusste sich keinen Rat und sank in das orange geblümte Zweisitzersofa, das in seinem kleinen Alkoven stand. Das Sofa müsste weg, gar keine Frage. Die Polsterung war derart von abgestandenem Tabakrauch durchtränkt, dass das ganze Möbel wie ein Aschenbecher roch.
Er stand wieder auf und setzte sich stattdessen an den Schreibtisch. Es war wirklich kein nettes Zimmer. Es hatte keine Fenster, sondern nur indirektes Tageslicht durch die Glaswände, die es von der Redaktion trennten – hinter der Sportredaktion konnte er die Konturen eines Parkhauses erahnen. Mit einigem Unbehagen betrachtete er den Stapel Kartons, der gestern mit dem Umzugsunternehmen vom Schwedischen Fernsehen gekommen war. Meine Güte, wie viel Zeug man ansammelt, dachte er bei sich.
Er beschloss, das Auspacken vorerst zurückzustellen, und breitete stattdessen die Zeitung vor sich aus. Bedächtig las er noch einmal die einzelnen Artikel. Natürlich war er nicht der verantwortliche Herausgeber, doch er wusste, dass er von heute an die Mechanismen kennen musste, die den Rahmen der Zeitung und ihren Inhalt ausmachten.
Irgendetwas stimmte nicht an dem Terrorartikel. Wie war es möglich, dass der Reporter exakt zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle war, und wie war es dazu gekommen, dass die Frauen mit ihm redeten? »Er hat einen Tipp bekommen«, hatte Spiken erklärt. Das konnte doch nicht alles sein. Wenn die Gruppe eine maximale öffentliche Aufmerksamkeit wollte, hätte sie selbst filmen und die Tat dokumentieren können, um die Informationen dann in allen Medien zu verbreiten. Es musste irgendeine Art von Deal geben, oder es waren wenigstens besondere Bedingungen gestellt worden.
Er würde mit dem Reporter darüber sprechen.
Die Geschichte mit dem Minister war genauso seltsam.
Auch Minister durften auf Grund von Verbrechen angehört werden. Er persönlich fand, dass die Leute vom Studio 6 viel zu weit gegangen waren, als sie Christer Lundgren als Mordverdächtigen darstellten. Soweit er die Sache übersah, gab es nichts, das darauf hinwies. Trotzdem musste natürlich eine Zeitung wie das
Abendblatt
die Geschichte verfolgen.
Anders Schyman hatte es nicht leicht.
Aber es war nur gut, wenn er sich gleich daran gewöhnte.
Niemand öffnete. Annika klingelte und klingelte, aber die alte Tante tat so, als wäre
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