Studio 6
erste Tasse einschenkte, klingelte es an der Tür. Es war die Journalistin.
»So ein mieses Schwein!«, rief Annika Bengtzon und stürmte in die Wohnung. »Wie kann man sie nur so darstellen, als wäre sie eine verdammte Prostituierte? Der tickt doch nicht richtig!«
Patricia trocknete sich die Tränen ab.
»Willst du auch eine Tasse Tee? Ich habe gerade welchen gekocht.«
»Gern«, sagte Annika Bengtzon und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Ich frage mich, was man da tun kann, sich beim Presserat beschweren oder beim Rundfunkrat. Das darf man nicht durchgehen lassen!« Patricia nahm eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie vor die Journalistin. Annika sah nicht gut aus. Sie war noch blasser und dünner als das letzte Mal.
»Möchtest du vielleicht etwas essen? Ich habe dünnes Knäckebrot.«
Das war Jossies liebstes Brot gewesen, mit Port Salut.
»Nein, danke, ich habe den ganzen Tag nur gegessen.«
Annika Bengtzon schob die Tasse fort, lehnte sich über den Tisch und starrte ihr ins Gesicht.
»Habe ich alles falsch verstanden, Patricia?«, fragte sie.
»Habe ich in meinen Artikeln etwas Falsches geschrieben?«
Patricia schluckte und senkte den Blick.
»Nicht, soweit ich weiß«, sagte sie.
»Patricia, antworte mir ehrlich, hast du jemals diesen Minister Christer Lundgren gesehen?«
Patricia biss sich auf die Unterlippe, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie. »Vielleicht.«
Annika lehnte sich auf dem Stuhl zurück, wie erschlagen.
»Meine Güte!«, rief sie aus. »Es könnte also wahr sein.
Ein Minister. Das ist doch unglaublich!«
Sie stand auf und ging in der Küche auf und ab.
»Es ist trotzdem absolut unverzeihlich, Josefine wie eine Hure darzustellen. Und dann dieses Band mit ihrer Stimme abzuspielen, widerlich.«
»Das war gar nicht Jossie«, wandte Patricia ein und schnauzte sich. Annika Bengtzon blieb stehen und starrte sie erstaunt an.
»Nicht? Wer war es dann?«
»Sanna, die an der Kasse arbeitet. Es gehört zu ihrem Job, sich um den Anrufbeantworter zu kümmern. Trink deinen Tee, er wird sonst kalt.«
Die Journalistin setzte sich wieder hin.
»Diese Radiofritzen haben also keineswegs alles so gut im Griff, wie sie uns weismachen wollen«, sagte sie.
Patricia antwortete nicht. Sie schlug die Hände vors Gesicht. Ihr eigenes Leben war gleichzeitig mit dem von Josefine verschwunden und jetzt durch eine unkontrollierbare Wirklichkeit ersetzt worden, die sie jeden Tag in neue Abgründe stieß.
»Das alles ist nur ein schlimmer Traum«, sagte sie mit dumpfer Stimme hinter ihren Händen. Sie spürte den Blick der Journalistin. »Hast du Hilfe bekommen?«, fragte Annika Bengtzon.
Patricia nahm die Hände vom Gesicht, schluchzte und hob die Teetasse.
»Wie meinst du das?«
»Einen Psychologen oder einen Sozialarbeiter oder so etwas?« Sie schaute die Reporterin erstaunt an.
»Warum sollte ich das?«
»Vielleicht brauchst du etwas Unterstützung von jemandem.«
Patricia trank, der Tee war nur noch lauwarm, sie schluckte.
»Was sollten die denn tun können? Josefine ist doch tot.«
Annika Bengtzon sah sie lange an.
»Patricia«, bat sie, »meine Liebe, sage mir, was du weißt. Es ist wichtig für mich. War es Joachim?«
Patricia stellte die Tasse auf die Untertasse und starrte vor sich hin. »Ich weiß es nicht«, sagte sie leise. »Es kann auch jemand anders gewesen sein. Ein hohes Tier …«
Die Stimme versagte, das Schweigen lastete plötzlich schwer in der Küche.
»Warum glaubst du das?«
Ihr traten erneut die Tränen in die Augen.
»Ich kann es nicht erzählen«, wisperte sie.
»Warum nicht?«
Sie sah die Journalistin an, und die Tränen liefen ihr über die Wangen, ihre Stimme wurde kreischend und schrill.
»Weil er kapieren würde, dass ich es war, die geredet hat! Begreifst du denn gar nichts? Ich kann nicht! Ich will nicht!«
Sie stand eilig auf und rannte aus der Küche, warf sich auf ihre Matratze und zog sich die Decke über den Kopf.
Die Reporterin saß eine Weile in der Küche, dann hörte Patricia ihre Stimme von der Türöffnung her.
»Es tut mir Leid«, sagte Annika Bengtzon. »Ich wollte dich wirklich nicht kränken. Ich werde herausfinden, ob man das Studio 6 in irgendeiner Weise anzeigen kann wegen des Mists, den sie über Josefine verbreitet haben.
Ich rufe dich morgen an, okay?«
Patricia antwortete nicht, sie atmete schnell und flach unter ihrer Decke die stickige, verschwitzte Luft, die schon bald
Weitere Kostenlose Bücher