Studio 6
sie nicht zu Hause. Durch den Briefschlitz konnte sie das gehetzte Atmen des Hundes und die schweren Schritte der Frau hören.
»Ich weiß, dass Sie da drin sind«, rief sie durch den Briefschlitz.
»Ich möchte Ihnen nur kurz ein paar Fragen stellen. Bitte machen Sie doch auf!«
Die Schritte hörten auf, doch das Atmen des Hundes war noch da.
Sie wartete weitere fünf Minuten.
Blöde Kuh, dachte Annika und klingelte stattdessen bei Daniella Hermansson, die mit ihrem Schätzchen auf dem Arm und einer Schnullerflasche in der Hand öffnete.
»Ja, hallo!«, sagte Daniella Hermansson fröhlich.
»Kommen Sie herein! Es ist ein wenig unaufgeräumt, Sie wissen ja, wie das ist, wenn man kleine Kinder hat …«
Annika murmelte etwas und betrat den dunklen Flur. Die Wohnung war lang und schmal und sah wie aus dem Ei gepellt aus. Direkt gegenüber der Tür befanden sich eine Spiegelwand und eine Kommode, auf der eine blaue Glasvase mit Holztulpen stand. Annika erschrak, als sie ihr eigenes Gesicht sah. Es wirkte unter der Sonnenbräune blass, die Haut spannte über den Wangenknochen. Sie wandte schnell den Blick ab und zog die Sandalen aus.
»Haben wir nicht einen fantastischen Sommer?«, zwitscherte Daniella aus der Küche. »Sie dürfen sich gern ein wenig umschauen und sehen, wie wir so wohnen.«
Annika schaute pflichtschuldigst in das Schlafzimmer, das zum Hof hinausging, und ins Wohnzimmer, das zur Straße wies, betonte, wie wunderschön die Wohnung sei und ob sie sie über die Stadt bekommen hätten und dass sie bestimmt tierisch teuer gewesen sei, oder? Ein echtes Schnäppchen!
»Es ist doch einfach zu schlimm, die Geschichte mit Christer Lundgren«, sagte Daniella und schüttelte den Kopf, während die Kaffeemaschine neben ihnen auf dem Küchentisch gurgelte. Schätzchen hielt sich an Annikas Beinen fest und sabberte auf ihren Rock, und sie versuchte ihn nicht zu beachten.
»Wie meinen Sie das?«, fragte sie und biss in einen Diätkeks.
»Als ob er der Mörder wäre, das ist doch einfach zu gemein. Natürlich ist er geizig, aber deswegen muss er doch nicht gleich gewalttätig sein …«
Annika starrte sie erstaunt an.
»Kennen Sie ihn denn?«
Daniella goss den dünnen Kaffee in Tassen aus den fünfziger Jahren.
»Natürlich kenne ich ihn«, erwiderte die Frau beleidigt.
»Er verhindert jetzt seit einem Jahr die Renovierung der Fassade. Milch oder Zucker?«
Annika blinzelte verwirrt und schüttete den Kaffee in sich hinein. »Entschuldigung«, sagte sie, »aber ich begreife gar nichts.«
»Eigentlich ist es gar nicht seine Wohnung, sie gehört der Zeitung, irgendeiner sozialdemokratischen Lokalzeitung oben in Luleå. Er ist der Vorsitzende des Aufsichtsrats und hat diese Übernachtungsgelegenheit im letzten Jahr als seine eigene Wohnung benutzt. Er ist unglaublich geizig.«
Daniella füllte Annikas Tasse noch einmal.
»Das heißt, er wohnt hier im Haus?«, dämmerte es Annika.
»Im vierten Stock links«, erwiderte Daniella. »Eine Anderthalb-Zimmerwohnung mit vierzig Quadratmetern.
Balkon. Nette kleine Bude. Die Preise für unsere Wohnungen liegen inzwischen bei über vierzehntausend pro Quadratmeter.«
Annika trank auch die zweite Tasse leer und lehnte sich zurück.
»Himmel«, sagte sie, »fünfzig Meter vom Tatort entfernt.«
»Noch Kaffee?«, fragte Daniella.
»Geizig, sagen Sie? Wie äußert sich das?«
»Ich bin Schriftführerin der Eigentümervereinigung.
Christer ist Mitglied. Jedes Mal, wenn wir eine Verbesserung oder eine Renovierung planen, widersetzt er sich. Er will unter keinen Umständen, dass sich die laufenden Kosten erhöhen. Ich finde das ziemlich mies. Er hat seine Wohnung nicht wie wir anderen gekauft, sondern schmarotzt auf Kosten der Parteizeitung, und das Einzige, was er bezahlen muss, sind die laufenden Kosten. Ja, hallo, Schätzchen, komm zur Mama …«
Daniella nahm ihren Sohn auf den Schoß, der unverzüglich die Kaffeetasse seiner Mutter umwarf. Die heiße Flüssigkeit lief über den Tisch und auf Annikas Schoß. Sie verbrannte sich nicht, aber ihr Rock bekam einen weiteren Fleck.
»Nichts passiert«, beteuerte Annika.
Daniella kam mit einem schlecht riechenden Geschirrtuch angelaufen und versuchte ihr den verschmierten Rock abzutrocknen. Annika zog sich schnell in den Flur zurück und zog ihre Sandalen wieder an. »Bis bald«, sagte sie und trat ins Treppenhaus.
»Tut mir so Leid, Schätzchen hat es nicht absichtlich getan …«
Annika nahm die Treppen zum
Weitere Kostenlose Bücher