Studio 6
sein, oder was?«
Carl Wennergren machte auf dem Absatz kehrt und ging die Treppe hinauf, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm.
»Haben sie mit dem Zündeln gewartet, bis du den richtigen Film eingelegt hattest?«, rief Annika ihm nach.
Der Reporter verschwand in der Redaktion, ohne sich noch einmal umzusehen. Annika ging die Treppen hinunter. Carl Wennergren hatte Recht. Es wäre sinnlos, Autos anzuzünden, wenn niemand erfuhr, warum man das tat. Die Ninja Barbies konnten ihm den Tipp durchaus umsonst gegeben haben.
Doch er hatte nicht gewusst, dass man ihr zuerst das Angebot gemacht hatte, da war sie sich sicher. Das hatte ihn aus der Fassung gebracht.
Sie ging hinaus und tat, als würde sie die schlecht gelaunten Kommentare von Tore Brand nicht hören.
Es war heißer denn je. Die Sonne brannte auf die Wendeplatte vor dem Pressehaus herab, und der Asphalt war weich geworden. Sie ging zur Imbissbude am Rålambsvägen und kaufte sich ein Baguette und einen Krabbensalat und aß beides im Stehen.
Die frühe Nachrichtensendung von
Aktuellt
brachte weder etwas über den Mord an Josefine noch über den Minister oder die Ninja Barbies in den Schlagzeilen. Eventuell würden diese Themen als Kurznachrichten später in der Sendung auftauchen, doch niemand beim
Abendblatt
verfolgte das Fernsehprogramm so lange. Alle Geschäftigkeit erlosch, als drei Minuten nach 18 Uhr die E-Gitarre der Erkennungsmelodie zu Studio 6 aufheulte. Annika saß auf Berits Platz und starrte auf die Lautsprecherboxen des Radios.
»Die Ermittlungen zum Mord an der neunzehnjährigen Josefine Liljeberg gestalten sich immer komplexer«, verkündete der Moderator, während die E-Gitarre im Hintergrund lärmte. »Die Frau arbeitete als Stripperin in einem berüchtigten Pornoklub. Außenhandelsminister Christer Lundgren ist heute noch einmal verhört worden.
Mehr darüber im aktuellen Magazin mit Debatten und Analysen, direkt aus dem Studio 6.«
Annika musste nicht aufschauen, sie spürte die misstrauischen Blicke vom Newsdesk in Mark und Bein.
»Es ist Mittwoch, der 1. August, willkommen im Studio 6 im Funkhaus Stockholm«, dröhnte der Moderator.
»Josefine Liljeberg arbeitete als Striptease-Tänzerin in dem berüchtigten Pornoklub, der denselben Namen angenommen hat, den auch dieses Radioprogramm trägt, Studio 6. In anderen Medien, vor allem im
Abendblatt,
ist sie bisher als ein zurückhaltendes Familienmädchen, dessen Traum es war, Journalistin zu werden und Kindern in Not zu helfen, stilisiert worden. Die Wahrheit aber sieht anders aus. Wir werden jetzt eine Einspielung mit der besagten jungen Frau hören.«
Eine junge Frauenstimme, die versuchte, verführerisch zu klingen, hieß alle Gäste, die neugierig waren und Freude am Sex hatten, im Studio 6, Stockholms kuscheligstem Klub, willkommen. Sie nannte die Öffnungszeiten von dreizehn bis fünf Uhr. Man konnte nette Mädchen kennen lernen, sie zu Champagner einladen, eine Show oder ein privates Posieren ansehen und erotische Filme anschauen und kaufen.
Annika blieb die Luft weg, sie verbarg das Gesicht in den Händen. Sie hatte nicht gewusst, dass es Josefines Stimme war.
Das Programm ging mit Informationen zu dem Mord weiter. Der Minister war noch einmal zu weiteren Verhören in das Polizeipräsidium geladen worden. Ein neues Band lief an, eine Tür wurde zugeschlagen, und die gerufenen Fragen einiger Reporter waren zu hören, als Christer Lundgren das Polizeigebäude betrat.
Annika stand auf, hängte sich die Tasche über die Schulter und nahm den hinteren Ausgang. Die Blicke, die ihr folgten, schienen den Sauerstoff aus ihren Lungen zu saugen. Sie brauchte frische Luft, wenn sie nicht ersticken wollte.
Patricia hatte den Radiowecker so eingestellt, dass er sich kurz vor achtzehn Uhr einschaltete. So konnte sie noch aufs Klo gehen und etwas Wasser trinken, ehe das Programm von Studio 6 begann. Sie hatte fest und traumlos geschlafen und hatte fast das Gefühl, unter Drogen zu stehen, als sie zur Matratze zurückstolperte.
Mit fahrigen Bewegungen türmte sie die Kissen gegen die Wand auf. Sie hörte im Dunkeln hinter ihren schwarzen Gardinen, Josefines schwarzen Gardinen, zu. Der Mann im Radio redete Jossie in Grund und Boden, er zog die Wahrheit durch den Dreck und machte sie zu einem schlechten Menschen. Patricia weinte. Das war so ungerecht.
Sie schaltete das Radio aus und ging in die Küche. Mit zitternden Händen kochte sie sich eine Kanne Tee. Als sie sich gerade die
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