Studio 6
wirklich ein verdammt gemeiner Spitzname. Sie ist sehr traurig darüber.«
Annika lächelte.
»Du hast ihn doch selbst erfunden.«
Er grinste.
»Ja, okay«, sagte er und lachte.
Annika trank das Wasser in tiefen Schlucken, und er ging zu ihr und umarmte sie von hinten.
»Ich friere. MUSS mir was anziehen«, sagte sie und machte sich los.
Sven küsste sie.
»In Ordnung. Ich rufe im Maestro an«, erklärte er.
Annika ging ins Schlafzimmer und machte ihren Schrank auf. Die Kleider, die dort noch hingen, rochen alle muffig und waren zerknautscht. Sie hörte, wie Sven die örtliche Pizzeria anrief und zwei Quattros bestellte.
»Jetzt wirst du ja wohl hier bleiben, oder?«, rief er, als er aufgelegt hatte.
Sie schaute die Kleider durch.
»Wie kommst du darauf? Meine Vertretung geht noch bis zum vierzehnten August, ich habe noch anderthalb Wochen.«
Er lehnte sich an den Türrahmen.
»Wollen die dich denn wirklich noch haben, wo du so fertig gemacht worden bist?«
Ihre Wangen fingen an zu glühen, sie wühlte weiter im Schrank.
»Den Leuten beim
Abendblatt
ist es total egal, was sie in einer dämlichen Radiosendung auf P3 sagen.«
Er kam zu ihr und umarmte sie wieder.
»Mir ist es total egal, was sie über dich sagen«, flüsterte er. »Für mich bist du immer die Beste, auch wenn alle anderen denken, dass du nichts wert bist.«
Sie zog eine Jeans an, die ihr zu groß geworden war, und einen alten Pullover.
Sven schüttelte unzufrieden den Kopf.
»Musst du so schlampig aussehen?«, fragte er. »Hast du kein Kleid?«
Sie machte den Schrank wieder zu.
»Wie lange braucht die Pizza?«
»Ich meine es ernst«, sagte er. »Zieh dir etwas anderes an.«
Annika blieb stehen, atmete durch.
»Jetzt komm schon«, bat sie. »Ich habe Hunger. Die Pizza wird kalt.«
Achtzehn Jahre, zehn Monate und sechs Tage
Ich sehne mich zurück zum Leichten und Hellen. Als der Tag in den Schatten der Nacht strömte wie ein Geist: rein, klar, duftend weich. Die Zeit unendlich, schwerelos. Der Rausch, die erste Berührung, der Wind, das Licht, das Gefühl absoluter Vollkommenheit. Mehr als alles andere in der Welt wünsche ich mir diesen Augenblick zurück.
Sein Schwarz verdunkelt den Horizont. Es ist nicht leicht, im Dunkeln zu navigieren. Der Kreislauf ist teuflisch. Ich bringe die Dunkelheit in ihm zum Vorschein, die unsere Liebe in den Schatten stellt. Meine Schritte werden unsicher, ich stolpere auf unserem Weg. Seine Geduld geht zu Ende. Ich bezahle den Preis.
Aber wir sind das Wichtigste,
das es gibt,
füreinander.
MONTAG, 6. AUGUST
Das Kaffeewasser kochte über, sie goss es in den Filter, verschüttete etwas und verbrannte sich.
»Mist!«, rief sie, und die Tränen traten ihr in die Augen.
»Hast du dir wehgetan?«
Patricia stand in Unterhose und T-Shirt, mit zerzaustem Haar und schlaftrunken in der Tür zum Mädchenzimmer.
Annika bekam sofort ein schlechtes Gewissen.
»Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht wecken, tut mir Leid …«
»Was ist denn passiert?«
Annika wandte sich ab und schüttete das restliche Wasser in den Filter.
»Ich hänge im Job total durch. Möchtest du auch einen Kaffee, oder willst du noch etwas schlafen?«
Patricia rieb sich die Augen.
»Heute Abend habe ich frei. Ich trinke gern eine Tasse.«
Sie zog sich Shorts an und verschwand im Treppenhaus, um auf die Toilette zu gehen. Annika schnauzte sich schnell und wischte sich die Augen. Sie nahm ein paar fertig geschnittene Scheiben Brot aus dem Gefrierfach, steckte sie in den Toaster und stellte Käse, Marmelade und Margarine auf den Tisch. Sie hörte, wie Patricia zurückkam und die Wohnungstür zumachte.
»Was hast du denn gemacht?«
Patricia starrte Annikas Beine an, so dass sie selbst an sich herabschaute.
»Ich bin am Donnerstag von einem Lynchmob gejagt worden«, erklärte sie. »Die wollten das Auto anzünden, als wir wegfuhren.«
Patricia sah sie entsetzt an.
»Meine Güte, das klingt ja wie in einem James-BondFilm!«
Annika lachte. Der Toaster knackte und schickte die Scheiben in hohem Bogen nach draußen. Jede fing eine auf, und Patricia lachte auch.
Sie setzten sich an den Tisch und frühstückten, Annika vermisste ihre Morgenzeitung. Sie schaute hinaus, wo der Regen auf das Fensterblech prasselte.
»Wie war es auf dem Land?«, fragte Patricia.
Annika legte den Kopf auf die Seite.
»Wie zu erwarten, bei dem Wetter. Ich habe am Freitag bei Sven, meinem Freund, übernachtet, dann war ich draußen bei meiner
Weitere Kostenlose Bücher