Stürmisch verliebt auf Mallorca
Sophie klang überrascht.
„Nun … ich habe mich als eine andere ausgegeben.“
„Du hast was?“ Sophie starrte sie entgeistert an. „Ich verstehe nicht …“
„Ich habe mich als eine andere ausgegeben“, wiederholte Lilian tapfer und suchte nach Worten. Denn auf einmal, weit entfernt von Ramiro und den wundervollen Erlebnissen mit ihm, kam ihr ihr Verhalten fast unwirklich vor.
„Als wen hast du dich ausgegeben?“
„Als Lilith, Lilith Carpenter.“ Lilian lachte trocken auf. Dass sie nun hier saß und ihrer Freundin, so viele Jahre später, von ihrem anderen Ich erzählte, war schon ziemlich absurd. Denn als kleines Mädchen hatte sie sich geschworen, dass niemand auf der Welt jemals von Lilith erfahren sollte. Doch auf Mallorca war Lilith zu neuem Leben erwacht, und nach allem, was sie erlebt hatte, musste Sophie von ihr erfahren. „Lilith kommt aus gutem Hause, und sie hat fürsorgliche Eltern. Sie studiert an einer privaten Sprachenschule, und sie wird einmal Lehrerin.“ Lilian fiel auf, dass ihr Tonfall mit einem Mal ziemlich sarkastisch geworden war.
Sophie stand ruckartig vom Tisch auf. „Aber wieso denn das?“
„Ich weiß nicht … es ist einfach passiert. Ich bin wie von selbst in die Rolle dieser anderen geschlüpft, wollte meine Herkunft und die ganze letzte Zeit für eine Weile vergessen. Das war am ersten Tag, als ich ihn kennenlernte. Es fühlte sich an wie ein Spiel. Da ahnte ich doch nicht, dass er mit mir ausgehen wollte …“
„Aber dann hättest du ihm doch später noch die Wahrheit sagen können.“
Lilian schluckte schwer. Dass ihre Freundin ausgerechnet an dieser Stelle nachbohren würde, damit hatte sie nun doch nicht gerechnet. Aber wenn dies jemand tun durfte, dann war es Sophie, denn sie war der Mensch, dem Lilian am meisten vertraute: Sie beide kannten sich seit ihrer Kindheit, waren in den gleichen bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und hatten in derselben Straße gewohnt. Auch Sophie hatte sich durchgekämpft und lebte nun schon länger in London, wo sie sich als Kellnerin gut über Wasser halten konnte.
Sophie setzte sich wieder und sah ihr fest in die Augen. „Was hast du ihm sonst noch für Lügenmärchen erzählt?“
Lilian wurde ganz flau. „Als ich einmal mit der Geschichte angefangen hatte, konnte ich irgendwie nicht mehr aussteigen“, gestand sie leise. „Ich glaube, ich habe ihm all das erzählt, von dem ich mir, seit ich denken kann, wünsche, dass es wahr wäre.“ Sie hob die Schultern. „Ziemlich kindisch von mir, ich weiß …“
Sophie stöhnte auf. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Sie schüttelte den Kopf und starrte eine Weile über Lilians Schulter hinweg ins Leere. „Lily, wir haben uns früher oft Träumereien von einem Märchenprinzen hingegeben, der uns die Welt zu Füßen legt …“
„Ja, ich weiß …“
„Aber der Prinz hat uns genauso geliebt, wie wir waren! Ich meine, es bringt doch nichts, so zu tun, als wärst du jemand anderes. Das ist verrückt! Was, wenn sich Ramiro für die echte Lilian Connelly – die Verkäuferin, für die eine Reise nach Mallorca so exotisch ist wie ein Flug zum Mond – überhaupt nicht interessiert?“
„Dann kann er mir gestohlen bleiben!“, begehrte Lilian auf.
Sophie schüttelte den Kopf. „Da magst du recht haben. Trotzdem machst du es dir zu einfach. Du hast ihn angelogen! Und warum? Weil du nicht sein wolltest, wer du bist? Darüber bin ich einfach wütend! Du verleugnest dich …“
„Übertreibst du nicht ein bisschen?“
„Nein!“, rief Sophie nun ziemlich aufgebracht. „Wir beide kommen aus derselben Welt, einem verschlafenen Provinznest, in dem uns nichts geboten wurde und jeder dem anderen das Glück neidet. Wir haben für alles kämpfen müssen, für jeden Cent und für jede Freiheit. Und heute leben wir hier und müssen immer noch kämpfen. Aber du willst mit deiner wahren Existenz nichts zu tun haben! Wenn du dich vor anderen verleugnest, dann bin ich dir wohl auch nicht gut genug?“
„Sophie …“
„Versprich mir, dieses Spiel so nicht weiterzuspielen!“
Lilian starrte betroffen in ihre Teetasse. Tatsächlich wurde ihr die Tragweite ihres Handelns erst jetzt richtig bewusst. Sie hatte sogar den Stolz ihrer Freundin verletzt! Hatte Sophie recht? Schämte sie, Lilian, sich für sich selbst? Und hätte sie Ramiro wirklich alles über sich erzählen sollen? Dass sie keine feste Arbeit hatte, dass sie des Diebstahls bezichtigt wurde, dass ihr Herz
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