Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stürmische Begegnung

Stürmische Begegnung

Titel: Stürmische Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
fortging und nie wiederkam. Wo ist sie jetzt?“
    Ich erzählte es ihr. Als ich ausgeredet hatte, sagte sie: „Und Mr. Bayliss weiß nicht, daß Sie hier sind?“
    „Nein.“
    „Sie müssen zu ihm gehen. Sofort. Oh, ich wollte, ich könnte dabeisein und sein Gesicht sehen. Er hat Ihre Mutter angebe tet …“
    In ihren Augen glänzte eine Träne. Ehe wir beide von unseren Gefühlen übermannt wurden, sagte ich schnell : „Ich weiß über haupt nicht, wie ich hinkommen soll.“
    Sie versuchte es mir zu erklären, und dabei verhedderten wir uns beide so sehr, daß sie schließlich einen alten Briefumschlag und einen Bleistiftstummel hervorkramte und eine Skizze machte. Während ich ihr zusah, fiel mir ein, daß Joss verspro chen hatte, um elf Uhr mit seinem ramponierten Pritschenwagen zu kommen und mich nach Boscarva zu bringen, aber es erschien mir auf einmal viel naheliegender, sofort hinzugehen, allein. Außerdem war ich gestern abend viel zu fügsam gewesen und hatte mich herumkommandieren lassen wie eine dumme Gans. Es würde seinem enormen Ego nicht schaden, wenn er hierherkam und feststellte, daß ich schon fort war. Der Gedanke daran heiterte mich beträchtlich auf, und ich ging nach oben, um meinen Mantel zu holen.
    Ich war kaum aus der Tür, als mich der Wind erfaßte, der wie der Luftzug in einem Kamin die Straße hinunterpfiff. Er war kalt und roch nach Meer, doch als die Sonne hinter den Wolken her vorkam, wurde es auf einmal wunderbar licht, die Helligkeit blendete fast, und über mir zeichneten sich vor dem Blau des Himmels die Flügel der Möwen ab, die sich schreiend von den Böen dahintragen ließen wie kleine weiße Segel.
    Ich marschierte weiter, und bald ging es bergan, schmale Straßen mit Kopfsteinpflaster hoch, die links und rechts von maleri schen kleinen Häusern gesäumt waren. Dann und wann kamen Stufen und Gassen, so schmal, daß man sie kaum als Gänge be zeichnen konnte. Je höher ich kam, um so stärker wurde der Wind. Als der Ort unter mir lag, breitete sich die See wie ein endloser jadefarben und purpurn geflammter, hier und dort mit weißen Tupfen verzierter Teppich bis an den Horizont aus. Dort vereinigte er sich mit dem Himmel, und der Ort und der Hafen unten wirkten davor wie Spielzeugbauten.
    Ich stand da, hielt den Atem an und betrachtete das Panorama, und da geschah auf einmal etwas sehr Merkwürdiges. Die neue Umgebung kam mir plötzlich gar nicht neu vor, sondern absolut vertraut. Ich fühlte mich daheim, als wäre ich an einen Ort zu rückgekehrt, den ich mein Leben lang gekannt hatte. Und ob gleich ich seit meinem Entschluß, nach Porthkerris zu fahren, kaum mehr an meine Mutter gedacht hatte, war sie plötzlich ne ben mir und ging mit langen Schritten, atemlos und genau wie ich vor Anstrengung schwitzend, die steilen Straßen hoch.
    Dieses Gefühl des deja-vu hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Auf einmal fühlte ich mich nicht mehr so einsam und viel mutiger. Ich ging weiter, froh, daß ich nicht auf Joss gewartet hatte. Seine Nähe brachte mich durcheinander, aber ich wußte partout nicht, warum. Er war schließlich ganz offen zu mir ge wesen, hatte meine Fragen beantwortet und vollkommen plausible Gründe für sein Handeln genannt.
    Es lag auf der Hand, daß er und Eliot Bayliss einander unsym pathisch waren, und das konnte ich sehr gut verstehen. Die bei den jungen Männer hatten sicher nichts gemeinsam. Eliot wohnte, wenn auch gegen seinen Willen, in Boscarva. Er war ein Bayliss, und das Haus war im Moment sein Heim. Joss stand es wegen seiner Arbeit frei, das Haus zu betreten und zu verlassen, wann er wollte. Vielleicht trafen die Bewohner ihn zu unge wohnten Zeiten im Haus an, vielleicht sogar dann, wenn seine Anwesenheit unpassend oder unerwünscht war. Ich stellte mir vor, daß er sich in seiner Unbekümmertheit gar nicht der Pro bleme bewußt war, die er womöglich verursachte. Jemand wie Eliot würde ihn das irgendwie spüren lassen, und er, Joss, würde entsprechend darauf reagieren.
    Mit diesen Gedanken beschäftigt, marschierte ich schwer at mend weiter hügelan und achtete nicht mehr auf die Umgebung. Aber nun wurde die Straße wieder eben, und ich blieb stehen, um mich zu orientieren. Ich war oben auf dem Hügel, das stand fest. Hinter mir, weit unten, lag Porthkerris, vor mir verlor sich die zerklüftete Küste in der Ferne. Grünes Land, von kleinen Far men und winzigen Feldern unterbrochen, zog sich fast bis zum Meer hin. Es wurde durchzogen von

Weitere Kostenlose Bücher