Stürmische Begegnung
„Ja, bitte.“ Sie ging, und wir waren wieder allein.
Nach einer Weile blickte ich auf. Er sah mich unverwandt an.
Das Schweigen vertiefte sich, und es kam mir idiotischer-weise so vor, als erwarte er eine Entschuldigung von mir.
„Wenn Sie nicht wollen, daß ich mit Eliot Bayliss spreche, erzählen Sie mir vielleicht etwas über ihn?“ fragte ich kühl.
„Was wollen Sie wissen?“
„Ist er verheiratet?“ war das erste, was mir einfiel. „Nein.“
„Er sieht sehr gut aus.“ Joss nickte. „Lebt er allein?“
„Nein, bei seiner Mutter. Sie haben ein Haus oben in High Cross, etwa zehn Kilometer von hier, aber sie sind vor rund einem Jahr nach Boscarva gezogen, um für den alten Herrn zu sorgen.“
„Ist mein Großvater krank?“
„Sie scheinen nicht viel über Ihre Familie zu wissen?“
„ Nein“, antwortete ich ein bißchen patzig.
„Er hatte vor ungefähr zehn Jahren einen Herzanfall. Danach hörte er auf zu malen. Aber er hatte wohl immer eine bewun dernswerte Konstitution und wurde wieder vollkommen ge sund. Er wollte Boscarva nicht verlassen, ein altes Ehepaar sorgte für ihn…“
„Die Pettifers?“
Joss runzelte die Stirn. „Woher kennen Sie die Pettifers?“
„ Meine Mutter hat mir von ihnen erzählt.“ Ich dachte an die gemütlichen Teestunden am Küchenherd, vor langer, langer Zeit. „Ich hätte nicht gedacht, daß sie noch da sind.“
„Mrs. Pettifer ist letztes Jahr gestorben, und ihr Mann und Ihr Großvater waren auf sich gestellt. Grenville Bayliss ist jetzt acht zig, und Pettifer kann nicht viel jünger sein. Mollie Bayliss wollte, daß sie Boscarva verkaufen und nach High Cross ziehen, aber der alte Herr blieb hart, und so waren sie und Eliot schließlich diejenigen, die umzogen. Ohne große Begeisterung, wenn ich das sagen darf.“ Er lehnte sich zurück und legte seine langen schmalen Hände auf den Tischrand. „Ihre Mutter… Heißt sie nicht Lisa?“
Ich nickte.
„Ich wußte, daß Grenville eine Tochter hatte, die wiederum eine Tochter hatte, aber die Tatsache, daß Sie Bayliss heißen, machte mich etwas perplex.“
„Mein Vater verließ meine Mutter, bevor ich geboren wurde.
Sie hat seinen Namen nie benutzt.“
„Wo ist sie jetzt?“
„Sie ist… Sie ist vor ein paar Tagen gestorben. Auf Ibiza. Vor ein paar Tagen“, wiederholte ich, denn es kam mir auf einmal wie eine Ewigkeit vor.
„Das tut mir leid.“ Er zögerte einen Moment. „Weiß Ihr Großvater davon?“
„Ich bin nicht sicher.“
„Sind Sie gekommen, um es ihm zu sagen?“
„Ich glaube, ich werde unter Umständen diejenige sein, die es ihm sagen muß.“ Der Gedanke daran war beängstigend.
„Weiß er, daß Sie hier in Porthkerris sind?“
Ich schüttelte den Kopf. „Er kennt mich gar nicht. Ich meine, wir sind uns nie begegnet. Ich bin zum erstenmal hier. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht mal, wie ich zu ihm kommen soll.“
„Es wird auf jeden Fall ein Schock für ihn sein.“
„Ist seine Gesundheit angegriffen?“ fragte ich besorgt. „Nein. Er ist zäh wie Leder. Aber er wird alt.“
„Meine Mutter hat gesagt, er sei furchterregend. Ist er das im mer noch?“
Joss verzog das Gesicht, was mich nicht gerade beruhigte. „Das kann man wohl sagen“, antwortete er.
Die Kellnerin kam mit der Suppe. Es war Ochsenschwanz suppe, herrlich dunkel, wunderbar sämig und sehr heiß. Ich war so hungrig, daß ich alles aufaß, ohne ein Wort zu sagen. Als ich endlich den Löffel hingelegt hatte, blickte ich auf und sah, daß Joss lachte.
„Für jemanden, der noch vor ein paar Minuten nichts essen wollte, haben Sie ihre Portion ganz gut bewältigt.“
Aber diesmal stand ich nicht auf. Ich schob den leeren Teller fort und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Wie kommt es, daß Sie soviel über die Bayliss’ wissen?“
Joss hatte seine Suppe nicht so schnell hinuntergeschlungen wie ich. Er ließ sich Zeit, bestrich zuerst ein Brötchen mit Butter und aß entnervend langsam.
„Ganz einfach“, sagte er. „Ich arbeite ab und zu oben in Bos carva.“
„Was machen Sie denn?“
„Hm, ich restauriere antike Möbel. Sperren Sie nicht so den Mund auf, es steht Ihnen nicht besonders.“
„Sie restaurieren antike Möbel? Das soll wohl ein Witz sein?“
„Aber nein. Grenville Bayliss hat das ganze Haus voll alter und sehr wertvoller Sachen. Er hat in seiner guten Zeit eine Menge Geld verdient und das meiste davon in Antiquitäten inve stiert. Einige dieser alten Sachen sind
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