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Stürmische Begegnung

Stürmische Begegnung

Titel: Stürmische Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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tiefen Tälern, wo schmale Flüsse sich ihren Weg zum Meer hinunter bahnten, dazwischen sah man überall Weißdornhecken und Haine von verkrüppelten Ulmen.
    Ich schaute mich um. Auch hier war freies Land, zumindest war es noch bis vor einem Jahr freies Land gewesen. Dann hatte jemand die Wiesen und Felder gekauft, Bulldozer hergeschickt, alte Hecken ausreißen lassen, die fruchtbare Erde aufgewühlt und planiert, und nun standen bereits die Grundmauern einer Siedlung, vermutlich lauter Ferienwohnungen. Der Anblick war häßlich, eine Verschandelung. Zementmischer drehten sich, ein Laster wühlte sich durch ein Meer von Schlamm, ich sah Stapel von Backsteinen und scheußliche Betonpfeiler, aus denen Eisenstangen herausragten, und davor erhob sich, wie ein stolzes Banner, eine große Tafel, auf der stand, wer für diese Vergewaltigung der Natur verantwortlich war:
     
    E RNEST P ADLOW
    Komfortable Einfamilienhäuser in
    bester Lage.
    Näheres: Porthkerris
    Sea Lane, Tel. 873
     
    Die Häuser standen wohl in bester Lage, aber kaum mehr als einen Meter voneinander entfernt; die Seitenfenster glotzten ein ander förmlich an.
    Ich dachte traurig an die gemordete Natur und die vertanen Chancen. Während ich dort stand und das ganze Bauvorhaben im Geiste von Grund auf neu entwarf, kam hinter mir ein Auto den Berg hoch und hielt vor der Tafel. Es war ein alter dunkel blauer Jaguar, und der Mann, der ausstieg und die Tür mit einem lauten Knall zuschlug, trug eine blaue Arbeitsjacke und hatte eine Schreibunterlage in der Hand. Die darauf festgeklemmten Papiere flatterten im Wind. Er wandte sich um, sah mich, zögerte kurz und kam dann, sich ein paar Strähnen auf den ziemlich kah len Schädel drückend, auf mich zu.
    „Morgen.“ Er lächelte, als wären wir alte Freunde.
    „Guten Morgen.“
    Ich hatte ihn schon mal gesehen, gestern abend, im Anchor. Er hatte bei Eliot Bayliss am Tisch gesessen. Er blickte zu der Tafel hoch. „Interessieren Sie sich für ein Haus?“
    „ Nein.“
    „Sollten Sie aber. Fabelhafter Blick von hier oben.“
    Ich runzelte die Stirn. „Vielen Dank, kein Interesse.“
    „ Wäre eine erstklassige Geldanlage.“
    „ Sind Sie der Bauleiter?“
    „Nein.“ Er sah stolz zu der Tafel hoch, die uns überragte. „Ich bin Ernest Padlow.“
    „ Aha.“
    „Phantastisches Fleckchen hier…“ Er schaute sich befriedigt in der zerstörten Natur um. „Eine Menge Leute waren hinter dem Land her, aber das alte Mädel, dem es gehörte, war eine Witwe, und ich hab so lange meinen Charme spielen lassen, bis sie es mir verkaufte.“
    Ich war überrascht. Während er redete, holte er eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie an, ohne mir eine anzubieten. Seine Finger hatten Nikotinflecken. Ich war noch nie einem Mann begegnet, der so wenig Charme hatte.
    Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. „Ich hab Sie hier noch nie gesehen, stimmt’s?“
    „Stimmt.“
    „Auf Besuch?“
    „Ja, so ungefähr.“
    „Besser, wenn man nicht in der Saison kommt. Nicht so voll.“
    „ Ich suche Boscarva“, sagte ich.
    Darauf war er nicht vorbereitet, und die aufgesetzte Jovialität war auf einmal wie weggeblasen. Seine Augen bekamen einen stechenden Blick. „Boscarva? Sie meinen das Haus vom alten Bayliss?“
    „Genau.“
    Sein Ausdruck wurde verschmitzt. „Sie wollen zu Eliot?“
    „ Nein.“
    Er wartete, daß ich weiterredete. Als ich es nicht tat, versuchte er meine Wortkargheit scherzhaft auszulegen: „Na ja, Schwei gen ist Gold, wie man so sagt. Wenn Sie nach Boscarva wollen, nehmen Sie den Feldweg da. Einen knappen Kilometer, dann können Sie das Haus weiter unten sehen, zum Meer hin. Es hat ein Schieferdach und einen großen Garten. Sie können es nicht verfehlen.“
    „Vielen Dank.“ Ich lächelte höflich. „Auf Wiedersehen.“
    Als ich mich abwandte und ging, spürte ich seinen Blick im Rücken. Dann sagte er noch etwas, und ich drehte mich um. Er war wieder ausnehmend freundlich und lächelte.
    „Wenn Sie eins von den Häusern haben wollen, entschließen Sie sich schnell. Sie gehen weg wie warme Semmeln.“
    „Ja, das glaube ich. Aber ich möchte keines. Vielen Dank.“
    Der Weg führte nach unten zu der großen blauen Bucht, und nun war ich wirklich auf dem Land, mitten in hohen Wiesen, wo gutmütig dreinblickende Guernsey-Rinder weideten. An den Grasböschungen wuchsen wilde Veilchen und Primeln, die Sonne kam hervor und verwandelte das üppige Gras in einen Teppich von Smaragden.

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