Stürmische Begegnung
krakelige Handschrift war unverkennbar.
Ein Auto ist ein guter Platz für wichtige Gespräche. Es gibt kein Telefon, so daß man nicht unvermutet gestört werden kann. „Der Brief da“, sagte ich. „Der Brief ganz oben. Er ist von einem Mann, der Otto Pedersen heißt. Er lebt auf Ibiza.“
Eliot nahm den Brief stirnrunzelnd hoch. Er drehte ihn um und las Ottos Namen. Dann sah er mich an. „Woher haben Sie das gewußt?“
„Ich kenne seine Handschrift. Ich kenne ihn. Er… Er schreibt Ihrem Großvater, daß Lisa gestorben ist. Sie ist vor ungefähr einer Woche gestorben. Sie lebte mit ihm zusammen auf Ibiza.“
„Lisa. Sie meinen Lisa Bayliss?“
„Ja. Die Schwester von Roger. Ihre Tante. Meine Mutter.“
„Sie sind Lisas Tochter?“
„Ja.“ Ich drehte mich zu ihm und sah ihn an. „Ich bin Ihre Cousine. Grenville Bayliss ist auch mein Großvater.“
Seine Augen hatten eine merkwürdige Farbe, graugrün, wie Kieselsteine, gewaschen und geschliffen von einem Gebirgsbach. Sie gaben weder Überraschung noch Freude preis, musterten mich einfach ohne jeden Ausdruck. Endlich sagte er: „Das darf doch wohl nicht wahr sein.“
Es war nicht gerade das, was ich erwartet hatte. Wir saßen stumm da, weil mir nichts zu sagen einfiel, und dann warf er mir die Briefe in den Schoß, als wäre er plötzlich zu einem Entschluß gekommen, ließ den Motor wieder an, riß das Steuer herum und wendete.
„Was machen Sie?“ fragte ich.
„Was glauben Sie? Ich bringe Sie nach Hause, was denn sonst.“
Nach Hause. Boscarva. Wir fuhren durch die Biegung der Zufahrt, und da war es. Da wartete es auf mich. Es war nicht klein, aber auch nicht groß. Grauer Naturstein, an vielen Stellen von Kletterpflanzen verdeckt, ein grauschwarzes Schieferdach, eine halbrunde Veranda, dahinter eine offene Tür, um die Sonne her einzulassen, und drinnen rote Steinplatten, Blumentöpfe, rosa Geranien und scharlachrote Fuchsien. Hinter einem offenen Fenster im ersten Stock bauschte sich ein Vorhang im Wind, und aus einem der Schornsteine quoll Rauch. Als wir aus dem Wagen stiegen, kam die Sonne hinter einer Wolke hervor.
Da wir durch das Haus vor dem Nordwind geschützt wurden, war es auf einmal richtig warm.
„Kommen Sie“, sagte Eliot und ging mir, den Hund auf den Fersen, voran über die Veranda. Wir betraten eine düstere, holz getäfelte Diele, die ihr Licht von einem großen Fenster über der gewendelten Treppe bekam. Ich hatte mir vorgestellt, Boscarva sei ein Haus der Vergangenheit, traurig und wehmütig, voll toter Erinnerungen, die einen frösteln machten. Aber es war nichts von alledem. Es war voll Leben und strahlte Bewegung und Leben aus. Auf dem Tisch lagen Zeitungen, ein Paar Gartenhandschuhe, eine Hundeleine. Aus einer Türöffnung hörte ich Stim men und Geschirrklappern. Oben summte ein Staubsauger. Und es roch nach gescheuerten Steinplatten, Bohnerwachs und vielen Jahren Holzfeuer.
Eliot blieb am Fuß der Treppe stehen und rief: „Mama.“ Doch es blieb still, nur das stete Summen des Staubsaugers war zu hören. Eliot zuckte die Achseln und führte mich durch die Diele in ein langes, holzgetäfeltes Wohnzimmer, voller Frühlingsblumen mit ihren sinnlichen Farben und Gerüchen. An einem Ende sah ich einen Kamin mit einer Einfassung aus geschnitztem Fichtenholz und Delfter Kacheln, in dem ein Feuer brannte, und drei hohe Fenstertüren mit Vorhängen aus verblichener gelber Seide. Sie führten auf eine Terrasse hinaus, hinter deren Brüstung ich die blaue Linie des Meeres erkennen konnte.
Ich stand mitten in diesem wunderschönen Raum, als Eliot die Tür zumachte und sagte: „Nun, Sie sind da. Warum ziehen Sie Ihren Mantel nicht aus?“
Es war wirklich sehr warm. Ich zog den Mantel aus und legte ihn über einen Stuhl, wo er wie ein großes totes Tier hing.
„Wann sind Sie hergekommen?“ fragte er.
„Gestern abend, mit dem Zug. Von London.“
„Sie leben dort?“
„Ja.“
„Und Sie sind noch nie hier gewesen?“
„Nein. Ich wußte nichts von Boscarva. Ich wußte auch nicht, daß Grenville Bayliss mein Großvater ist. Meine Mutter hat es mir erst am Abend ihres Todes erzählt.“
„Was hat Joss damit zu tun?“
„Ich…“ Es war zu kompliziert, um es zu erklären. „Ich habe ihn in London kennengelernt. Dann war er zufällig hier am Bahnhof, als ich ankam.“
„Wo wohnen Sie?“
„Bei Mrs. Kernow, in der Fish Lane.“
„Grenville ist ein alter Mann. Er ist krank. Das wissen Sie, nicht
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