Stürmische Eroberung
dort zu leben?
Reglos saß sie da und bemühte sich, alle Gefühlsaufwallungen einmal zu vergessen und stattdessen ausschließlich den Verstand zu benutzen. Nüchtern betrachtet hatte Thomas sicherlich Recht, wenn er ihr zu einer Ehe mit Lucas riet – er besaß einen Titel, ein stattliches Anwesen mit großem Park, von seinem beträchtlichen Vermögen einmal ganz zu schweigen. Als Herrin von Marlden Hall konnte sie in jedem nur erdenklichen Luxus schwelgen. Es würde ihr an nichts fehlen. Außerdem blieben Thomas dann Kosten und Mühen erspart, die er hätte aufbringen müssen, um sie bei Hofe einzuführen – und er würde die fünfzig Acre Weidegrund zurückerhalten.
Sie erzitterte, als ein kühler Wind aufkam und die ersten Tropfen vom Himmel fielen. Doch sie war so in Gedanken versunken, dass sie nichts davon wirklich wahrnahm. So blieb sie still sitzen, betrachtete weiter unverwandt das Haus und dachte an die Zeit, die sie in Lucas' Gesellschaft verbracht hatte. Ganz gleich, welche Freuden sie in seinen Armen gefunden haben mochte, wurde doch alles dadurch zunichte gemacht, dass er um sie geschachert hatte, als wäre sie ein teures Vollblut. Tränen liefen ihr über die Wangen, und Prudence wischte sie traurig fort.
Trotz dieser Verletzung musste sie auch an ihre Pflicht Thomas gegenüber denken. Er wollte die fünfzig Acre Land unbedingt wiederhaben. Schon jetzt ließ er seine Rinder dort weiden. Was Lucas wohl tun würde, falls sie sich weigerte, ihn zu heiraten? Ob er Thomas dann befahl, die Kühe augenblicklich von dem Land zu treiben? Lieber Himmel, dachte sie bitter, wie konnten die beiden mich nur in diese entsetzliche Lage bringen? Das war einfach ungerecht! Und seine Arglist war unentschuldbar. Wie konnte Lucas nur glauben, sie würde seinem Charme ohnehin widerstandslos erliegen und ihm, bevor er sich's versah, in die Arme sinken. Am meisten ärgerte sie allerdings, dass er damit sogar Recht behalten könnte.
Betrübt seufzte sie auf. Sie konnte nicht länger leugnen, dass sie etwas für ihn empfand. Tatsächlich vermisste sie ihn mehr, als sie für möglich gehalten hätte. Daher konnte sie keinesfalls ehrlich behaupten, dass ihr allein schon der Gedanke an eine Heirat mit ihm verhasst war. Würde es ihr jedoch gelingen, ihren Stolz zu vergessen und sich ohne jeden Kampf seinem Willen zu fügen? Zweifellos würde ihm nichts auf der Welt besser gefallen …
Viel zu spät bemerkte sie, dass sich schwarze Wolken über ihrem Kopf zusammengezogen hatten und ein heftiger Wind aufgekommen war, der ihr jetzt den Hut vom Schoß wehte. Hilflos musste sie zusehen, wie er über die Baumwipfel flog. Zu allem Überfluss öffnete nun auch noch der Himmel seine Schleusen, und ein wahrer Sturzbach prasselte hernieder. Prudence war schnell bis auf die Haut durchnässt, stand eilig auf und sah sich verzweifelt um. Sie konnte unmöglich bei diesem Wetter den ganzen Weg nach Hause reiten. Dafür war es viel zu weit.
Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als Lucas' Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Sie stieg auf, lenkte das Pferd in Richtung Marlden Hall und überlegte, welchen Ton sie Lucas gegenüber wohl anschlagen sollte. Schließlich erreichte sie das Haus, glitt aus dem Sattel und übergab die Zügel einem Stallburschen, der herbeigelaufen kam. Ein Diener öffnete die schwere Eichentür. Unsicher trat sie ein, denn bestimmt bot sie einen furchtbaren Anblick. In der Halle sah sie sich um. Hinter welcher der abgehenden Türen sich wohl der Herr des Hauses verbarg?
"Würden Sie Lord Fox bitte ausrichten, dass ich hier bin?"
Unverhohlen musterte der Mann sie von Kopf bis Fuß. Er konnte kaum glauben, dass dies dieselbe reizende junge Frau sein sollte, die vor einer Woche schon einmal Gast auf Marlden Hall gewesen war.
"Er ist im Studierzimmer, Miss Fairworthy", antwortete er und zeigte auf eine der Türen. Es fiel ihm nicht leicht, sich nichts anmerken zu lassen. "Ich werde Ihre Ankunft melden."
"Danke, aber lassen Sie nur. Ich kündige mich lieber selbst an", widersprach sie und tat, als bemerke sie seine entsetzte Miene nicht. So würdevoll wie möglich schritt sie zu der Tür, klopfte an und trat dann ein.
Lucas hatte seine Jacke abgelegt, saß am Sekretär und arbeitete. Als Prudence ihn sah, begann ihr Herz schneller zu schlagen. All ihre Wut schien zumindest für den Augenblick verflogen. Sie wollte ihn nur anschauen, sein sonnengebräuntes Gesicht und die schwarzen Locken, wollte das Spiel
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