Stuermische Gefahr
sie hatten die Augen ihrer Mutter geerbt. Aber Barretts waren ihm immer so funkelnd, so jungenhaft erschienen. Jetzt nicht mehr. Sie glänzten vom Fieber. Sein Bruder war erwachsen geworden. Vielleicht hatte er alles falsch gemacht. Um für seinen Bruder zu sorgen, hatte er sich verkauft. Damals war es ihm richtig erschienen. Aber jetzt? Hatte er nicht vor ein paar Stunden Barrett gleich mit verkauft?
Aidan stand auf. Er musste diesen Job jetzt hinter sich bringen. Barrett hatte nicht mehr viel Zeit.
*
Cameron hatte Scarlett in sein Büro geführt. Ein paar Mal war er stehen geblieben , um zu Atem zu kommen. Er sah blass aus, aber er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Einst hatte sie ihn für seine Willensstärke bewundert. Das schien Lichtjahre her zu sein. Wie hatte sie nur etwas für dieses Monster empfinden können. Er hatte eine Frau töten lassen. Ihr die Kehle durchschneiden lassen , ohne mit der Wimper zu zucken.
Was hatte er jetzt wohl mit ihr vor? Sie versuchte ruhig zu bleiben. Mit ihm allein zu sein, war doch das, was sie gewollt hatte. Aber nach allem, was sie eben hatte miterleben müssen , war es utopisch zu glauben, dass er ein Gespräch mit ihr führen würde, in die Scheidung einwilligte und sie dann gehen ließe. Jetzt nicht mehr. Sie war schließlich Augenzeugin eines Mordes geworden, den im Grunde er begangen hatte. Sie hatte immer noch die Waffe. Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie die nicht gegen ihn benutzen konnte. Ausweglos war wohl das beste Wort , um ihre Situation zu beschreiben. Sie dachte an Aidan. Wie konnte er nur für so einen Mann arbeiten? Sie musste ihn aus ihren Gedanken streichen. Sofort. Sie musste das hier überleben und entkommen, darauf musste sie sich konzentrieren. Cameron fuchtelte immer noch mit seiner Waffe herum. Er schloss die Tür in seinem Büro ab. „Setz dich doch Goldlöckchen.“
Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber vom Schreibtisch. Cameron nahm dahinter Platz. Sie konnte ihn nicht ansehen. Sein Anblick verursachte ihr Übelkeit, also schaute sie aus dem riesigen Panoramafenster in den Garten. Wie gern hatte sie dort in einem Liegestuhl gesessen und gelesen. Direkt unter dem Pecanbaum. Der Baum erinnerte sie an Lily. Lily würde nicht vor dem Sturm flüchten. Sicher würde sie helfen , im Krankenhaus die Menschen in Sicherheit zu bringen , und sie würde sich um ihre Familie kümmern. Auch in Lilys Garten hatte sie diese Pecanbäume gesehen. Ob sie beide jemals dort sitzen würden, Limonade trinken und über Gott und die Welt reden, wie ganz normale Freundinnen?
„Warum bist du zurückgekommen? Auch wenn ich es gerne glauben würde, sicherlich nicht, weil du mich so sehr vermisst hast.“
Okay. Showtime.
„Ich wollte dir erklären, warum ich gehen musste.“ Sie fragte sich , ob ihre Mission überhaupt noch Sinn machte und ob da noch irgendwo etwas Menschlichkeit in ihm steckte.
„Heißt das, es war nur eine kurze Auszeit und du bist bereit zurückzukommen?“
Sie konnte an seinem unbeweglichen Gesicht nicht ablesen, ob er sich tatsächlich Hoffnungen machte. „Ich habe dich geliebt Cameron. Zumindest den Menschen, den ich in dir gesehen habe.“
„Und was ist dann passiert?“
Er hatte sich vorgebeugt und sah ihr eindringlich in die Augen, sodass es ihr wieder eiskalt wurde.
„Muss ich dir das wirklich sagen? Du hast meine Mutter benutzt, du hast mich benutzt. Du hast mich misshandelt. Behandelt man so die Menschen, die man liebt? Tut man ihnen so etwas an?“ Es überraschte sie selbst, dass sie nicht anfing zu schreien, sondern in einem normalen Tonfall zu ihm sprach.
„Schätzchen, deine Mutter war krank, ich habe versucht ihr zu helfen.“
„Für wie naiv hältst du mich? Ich bin kein kleines Kind. Aber ich glaube, das war ich für dich. Das kleine Goldlöckchen, das dumm genug war, alles für dich zu tun. Ein Spielzeug, das du benutzen konntest, wenn dir danach war. Das du misshandeln konntest, wenn etwas nicht lief. Du hast deine Wut an mir ausgelassen, du hast aus meiner Mutter ein Versuchskaninchen gemacht, du hast deine Bedürfnisse an mir befriedigt, aber nie hast du nach meinen Bedürfnissen gefragt.“
Etwas blitzte in Camerons Augen auf. War er wütend? Seine Stimme war wie immer freundlich und beherrscht. „Habe ich dir nicht alles gegeben? Ein Zuhause, das kaum ein Mensch auf dieser Welt hat, teure Kleidung, Schmuck , und du hast dich von den teuersten Delikatessen der Welt
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