Stürmische Liebe in Cornwall
bemüht hatte. Dicht vor ihr stehend, ragte er so hochgewachsen und kraftvoll vor ihr auf, dass ihr der Atem stockte. Wirkte seine Kleidung auch ein wenig abgetragen, so war der Rock, der sich um seine breiten Schultern schmiegte, doch von einem Meister geschneidert, und seine Breeches lagen wie ein zweite Haut um seine muskulösen Schenkel. Also wirklich ein Herr, nur vielleicht gerade von einer finanziellen Pechsträhne verfolgt?
„Ich bitte um Entschuldigung, Sir“, entgegnete sie. „Man sollte beim Gehen keine Briefe lesen. Leider habe ich Sie nicht bemerkt. Hoffentlich trat ich nicht zu fest zu.“
„Ich werde es überleben“, scherzte Drew. Er stutzte. Dies war die Schöne aus der Kutsche, also hatten ihn seine Augen weder bei der Begegnung auf den Klippen getrogen noch danach, als er sie mehrfach auf den Spazierwegen erspäht hatte. „Ich hätte schneller reagieren und zur Seite treten müssen. Die Schuld liegt ganz bei mir.“
„Oh, nein, Sie sind zu großmütig … Sehen Sie, es war der Brief von meiner Schwester …“
Ihr leises, ein wenig kehliges Lachen entfachte ein so heißes Begehren in ihm, dass er ganz aufgewühlt war. Er kannte sie nicht, wusste nichts von ihr, hatte sie nur ein einziges Mal aus der Nähe gesehen, und doch war diese junge Frau schon fest in seinem Sinn verwurzelt, spukte in seinen Träumen – und er hatte mehr als einmal von ihr geträumt! Wenn das nicht lachhaft war! Nun, da er dicht vor ihr stand und ihren süßen Duft einsog, der, wie er sich vorstellte, nur ihr zu eigen war, sah er, dass sie tatsächlich sehr begehrenswert war. Er wurde sich seiner flammenden Begierde bewusst und trat hastig zurück. Gewaltsam unterdrückte er dieses auflodernde Bedürfnis und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf ihre Worte.
„Nein, es ist allein meine Schuld“, erklärte Marianne. „Doch sah ich Sie nicht schon einmal … neulich oben auf den Klippen? Haben Sie nicht das Cottage meiner Tante gemietet?“
„Sie weilen bei Lady Edgeworthy? Ich dachte, sie lebt allein mit ihrer Gesellschafterin.“ Seine Gedanken überschlugen sich, denn die Anwesenheit einer so attraktiven jungen Dame mochte zu Komplikationen führen, und nicht nur wegen ihrer Wirkung auf seine Sinne. „Wie lange werden Sie bleiben, wenn ich fragen darf?“
„Das steht noch nicht fest. So lange meine Tante mich braucht.“
„Ich verstehe …“ Er musste sich davonmachen! In seinem Leben war kein Platz für Tändeleien mit einem Mädchen wie diesem! „Erfreut, Sie kennengelernt zu haben. Guten Morgen, Madam.“ Grüßend hob er seinen Hut und setzte versonnen seinen Weg fort. Falls sie zufällig wusste, wer er war – keine Unmöglichkeit, da sie offensichtlich zur guten Gesellschaft gehörte –, könnte sie seine wahre Identität vielleicht preisgeben, und das wäre das Ende seines Versteckspiels. Außerdem konnte er keine Ablenkung gebrauchen! Er wusste, dass die Chance, diesen französischen Spion in eine Falle zu locken, nicht besonders groß war. Vollends dahin wäre sie, wenn er innerhalb dieser kleinen Gemeinde zum Objekt allgemeinen Interesses würde, was unweigerlich der Fall wäre, sobald sein wahrer Name bekannt würde.
Marianne hatte sich noch einmal nach ihm umgeschaut und sah, wie er die Straße überquerte und in den Gasthof ging. Seltsam, sein anfangs so freundliches Betragen war unversehens umgeschlagen. Was konnte sie wohl gesagt oder getan haben, dass er so brüsk, beinahe unhöflich geworden war?
Erst das vielfältige Warenangebot des kleinen Dorfladens lenkte sie von ihrer Grübelei ab, denn es entpuppte sich als eine echte Fundgrube, überquellend mit Nähzeug, Garn, Bändern, Kunstblumen, Schreibutensilien und all den anderen Kleinigkeiten, die eine Dame immer wieder benötigte.
Als sie die Einladung ihrer Tante bekam, hatte Marianne an einen Aufenthalt von einigen Wochen gedacht, doch Tante Bertha hoffte offensichtlich, sie werde länger bleiben. Auf Sawlebridge zu leben war gewiss angenehm; im Dorf gab es mehrere kleine Geschäfte für den tägliche Bedarf, und die Stadt Truro war nur eine kurze Wagenfahrt entfernt. Deshalb konnte sie sich gut vorstellen, mehrere Monate bei der Tante zu verbringen, obwohl sie sicher nach einiger Zeit ihre Schwestern und ihre Mutter vermissen würde.
Nachdem sie ihre Einkäufe getätigt hatte, trat Marianne wieder auf die Straße hinaus. Unwillkürlich schaute sie zu dem Gasthaus hinüber, in dem der Fremde zuvor verschwunden war, und sah
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