Stürmische Liebe in Cornwall
kennen müsste. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je zuvor gesehen zu haben – sah man von diesem kurzen Blick auf der Herfahrt ab –, doch irgendetwas an ihm ließ sie ins Grübeln geraten. Als ihre Blicke sich trafen, war es ihr merkwürdigerweise vorgekommen, als hätten sie sich wortlos verstanden, hätten sich schon immer gekannt. Was war sie nur für ein närrisches Ding! Gewiss lag es an der kurzen Begegnung neulich auf der Reise, dass sie glaubte, ihn oder jemanden, der ihm ähnlich war, schon einmal getroffen zu haben.
Sie war sich bewusst, dass sie ihm gegenüber gewisse Vorbehalte hegte, obwohl er ganz und gar achtbar und ehrenhaft wirkte. Aber wer war er wirklich, und warum hatte er Cliff-Cottage gemietet? Und warum sah sie ihn auf ihren Spaziergängen ständig? Er behauptete, wegen seiner Gesundheit hier zu weilen, aber ihrer Ansicht nach war er in bester Verfassung. Natürlich ging es sie nichts an, dennoch war sie neugierig und hätte gern den wahren Grund für seinen Aufenthalt hier gewusst. Nicht, dass sie ihm tatsächlich misstraut hätte – sie spürte jedoch, dass er etwas verbarg.
All das war für den Augenblick vergessen, als sie das Herrenhaus erreichte und eine Kutsche vor dem Portal stehen sah. Eben öffnete sich der Schlag, und ein Mann stieg aus. Da er sie noch nicht bemerkt hatte, konnte Marianne ihn, ohne sich eine Blöße zu geben, betrachten. Er mochte etwa fünfunddreißig sein, mittelgroß, mit hellbraunem, modisch frisiertem Haar. Seine Kleidung, schlicht, aber elegant, wies ihn als Gentleman aus. Als er sich umwandte, zeigte er ein freundliches, angenehmes Gesicht, in dem Interesse aufblitzte, als er sie bemerkte.
„Wir kennen uns noch nicht, Madam“, sagte er und kam näher, „doch Sie müssen Miss Marianne Horne sein. Ich bin Joshua Hambleton. Gewiss erwähnte Lady Edgeworthy mich schon?“
„Ah, natürlich, Mr. Hambleton.“ Marianne knickste leicht und reichte ihm ihre Hand, die er an die Lippen hob.
„Entzückend, ganz entzückend“, murmelte er. „Ich hörte, Sie seien hübsch, doch erwartete ich keine solche Schönheit.“
Marianne, peinlich berührt ob des übertriebenen Kompliments, entzog im kühl ihre Hand. „Erwartet meine Tante Sie, Sir? Heute Morgen erwähnte sie nichts davon.“
„Ob sie meinen Brief nicht bekam? Obwohl …“ Er zog die Brauen zusammen, als fühle er sich verhört. „Üblicherweise komme ich ohne Anmeldung zu Besuch. Hat sie sich mittlerweile erholt? Ich hoffte sehr darauf, als sie mir von Ihrem Besuch schrieb. Es gefällt mir nicht, sie so niedergeschlagen zu sehen.“
„Ja, es geht ihr wieder viel besser. Sie möchte mir zuliebe wieder häufiger den gesellschaftlichen Verkehr pflegen, und ich glaube, das ist auch nötig. Sie hatte sich zu sehr von ihren Freunden abgesondert, und meiner Ansicht nach tat ihr der fehlende Umgang nicht gut.“
„Der Landsitz liegt recht abgeschieden“, sagte Joshua mit besorgter Miene. „Ich hatte ihr vorgeschlagen, in Bath ein Haus zu mieten und die Verwaltung dieses Besitzes mir zu überlassen. Die Sorge würde ich ihr gerne abnehmen, während sie andernorts weilt.“
„Es ist ihr Heim“, wandte Marianne ein. „Aber möglicherweise würde ihr eine andere Umgebung gut tun. Allerdings muss sie das selbst entscheiden.“
„Würden Sie selbst Bath nicht ebenfalls sehr genießen? Sie müssen mir helfen, ihr den Aufenthalt dort schmackhaft zu machen.“
„Nein, das wäre nicht richtig. Ich fühle mich hier zurzeit übrigens sehr wohl“, erklärte Marianne. „Vielleicht jedoch im Winter, falls meine Großtante es wünscht … Ich würde mir allerdings nicht anmaßen, sie zu beeinflussen.“
Die Antwort schien ihm nicht zu gefallen, denn er runzelte abermals die Stirn. Ihr kam es so vor, als halte er seine wahren Gefühle zurück. Sie glaubte zu spüren, dass er über irgendetwas verärgert war.
„Ah, hier sind Sie!“ Jane kam aus dem Haus und trat zu den beiden. „Ich wunderte mich schon, was Sie aufgehalten hätte, Mr. Hambleton – und ich fürchtete, Marianne, Sie könnten sich verirrt haben. Man findet sich in einer neuen Umgebung manchmal so schlecht zurecht.“
„Ach, nein, nicht verirrt, der Weg ins Dorf ist ja nicht weit; ich sprach nur ein paar Sätze mit Tante Berthas Mieter, das hielt mich kurz auf.“
„Ein Mieter …?“ Joshua Hambleton schenkte ihr einen kritischen Blick. „Meinen Sie Cliff-Cottage? Es an einen völlig Unbekannten zu vermieten, war recht unklug.
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