Stürmisches Paradies
die offensichtlich keine Schwierigkeiten zu haben schienen.
Sie selbst war nun in einer ziemlich misslichen Lage. Das Schiff, welches sie nach Tortuga gebracht hatte, war weitergesegelt, kurz nachdem Alicia bestätigt bekam, dass Blake Merritt an Land war. Nun hatte derselbe verfluchte Mann sich auch noch geweigert, ihr zu helfen. Sie saß ohne Unterkunft und ohne Transportmittel fest, mit dem sie nach Hause reisen konnte. Während sie einen Stein über das Kopfsteinpflaster der Straße kickte, konnte Alicia nicht anders als sich zu wünschen, es wäre Blakes Kopf.
»Dieser arrogante, abscheuliche Mann«, brummte sie. Weil ihr das Gewicht der Tasche, die sie trug, auf der Schulter zu schmerzen begann, setzte Alicia sie zu ihren Füßen ab. Sie hatte sie kaum abgesetzt, als diese auch schon beinahe von einem Säufer zertrampelt wurde, der aus der Tür der Kneipe taumelte. Sein widerlicher Atem schwappte über sie hinweg, und der Gestank von Haut, die schon zu lange nicht gebadet hatte, hüllte sie ein.
»’Tschuldigung«, murmelte der Betrunkene, bevor er davonwankte und einen lauten Rülpser ausstieß.
Alicia rümpfte die Nase, packte ihre Tasche und entschied weiterzugehen. Sie musste einen Platz für die Nacht finden, wo sie sich ausruhen und nachdenken konnte. Denn eines wusste sie bereits – auch ohne Blake Merritts Hilfe würde sie nicht einfach aufgeben. Falls sie eine Familie hatte, dann würde sie diese auch finden. Sie wusste im Augenblick nur ganz einfach nicht, wie ihr das gelingen sollte.
Gerade in diesem Augenblick öffnete sich die Tür wieder und spie den Lärm der Schänke in den Strom von Ausschweifungen, der durch die Straßen von Tortuga wogte. Wenn Alicia es nicht bereits bei Tageslicht für sich entschieden hätte, dann tat sie es jetzt. Tortuga war gewiss kein Ort, den sie jemals wiedersehen wollte.
»Ah, gut. Ich hatte befürchtet, Ihr wärt schon lange weg.«
Alicia drehte sich nach der Stimme um und lächelte kläglich. »Das wäre ich auch, wenn ich nur wüsste, wo ich hingehen soll.«
Der Riese grinste. »Das ist leicht gelöst. Ihr könnt bis zum Morgen bei mir bleiben.«
Alicia verschluckte beinahe ihre Zunge. »Und Charles dachte, ich wäre verrückt.«
Sein Lächeln verzog sich zu einem Knurren. »Ich bin nicht verrückt, Missy. Aber Ihr braucht einen Platz, an dem Ihr bleiben könnt, oder etwa nicht?«
»Nun …«
»Ja oder nein?«, fragte er.
»Nun, ja, aber -«
»Also los dann.«
Er schickte sich an loszugehen, in der Annahme, Alicia würde ihm folgen. Sie packte seinen Arm.
»Ich kann nicht mit Euch gehen. Ich kenne Euch ja gar nicht.«
»Nun, wie lange dauert das? Ich werde nicht die ganze Nacht hier draußen bei den Säufern warten, Missy. Hier würden wir bloß erschossen oder niedergetrampelt werden.«
Gerade als er das sagte, taumelten zwei kämpfende Männer um die Ecke direkt auf sie zu. Der Riese schüttelte bloß den Kopf, streckte einen kräftigen Arm vor Alicia aus und schubste beide Männer mit wenig mehr als einem Stoß zu Boden.
»Nun? Habt Ihr es Euch überlegt?«
Sie seufzte. »Es ist ja nicht so, als ob ich das Angebot nicht zu schätzen wüsste …«
»Kapitän. Und ich glaube nicht, dass ihr ein besseres bekommt.«
»Ich glaube nicht, dass ich es annehmen würde, selbst wenn ich es bekäme.«
»Ihr könnt mir trauen.« Er lächelte, und Alicia freute sich, als sie sah, dass seine Augen weder von Rum vernebelt noch bösartig waren. »Ich kann Euch erzählen, was ich von Samantha weiß.«
Alicia kaute auf ihrer Lippe herum. Nun, sie hatte sich bei einem Fremden die Schiffspassage organisiert, und wenn Blake bereit gewesen wäre, ihr zu helfen, dann wäre sie mit ihm gegangen, obwohl er ein Fremder war. War der Kapitän wirklich etwas anderes?
Plötzlich knallte ein Pistolenschuss so nahe neben ihr, dass es Alicia in den Ohren gellte. Sie schrie kurz auf und duckte sich. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte der Riese sie am Arm gepackt und sie wieder auf die Füße gerissen.
»Kommt Ihr jetzt oder nicht?«
Sie konnte nicht sprechen, ihr Herz schlug zu schnell und zu laut in ihrer Brust. Stattdessen nickte sie.
»Gut. Und wenn Ihr kochen könnt, betrachten wir das Frühstück als Eure Bezahlung. Kommt, Missy, hier entlang.«
Er führte sie durch die rauchgeschwängerte Luft, vorbei am Tohuwabohu der Kneipen an den hinteren Rand der Stadt. Sein Zuhause war nicht viel mehr als eine grobe Bretterbude, die zwischen ein paar Bäumen
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