Stürmisches Wiedersehen auf Maynard Manor (German Edition)
Pfad zum Wasser hinunter zu einem großen flachen Felsbrocken. Sie setzte sich darauf und stützte das Kinn auf die Knie.
Unzählige Male schon war sie mit dem Rad hergefahren, hatte unter den Bäumen gebadet und sich dann auf genau diesem Felsen gesonnt. Doch anders als jetzt war sie damals zum Nachdenken hergekommen und nicht, um vor ihren Gedanken zu fliehen. Außerdem hingen an diesem Ort zu viele Erinnerungen. Sie hatte einmal einen gefährlichen, unmöglichen Traum gehabt, doch zum Glück war sie schnell und schonungslos geweckt worden.
Und die Jahre seitdem hatten das Erlebnis des schmerzlichen Erwachens nur noch verstärkt und Chloé gelehrt, sich auf eine Zukunft zu konzentrieren, die ihr Halt, Stabilität und echtes Glück bringen würde. Die Dinge, mit denen ich aufgewachsen bin und die im Leben am wichtigsten sind, erinnerte Chloé sich. Die Vergangenheit hatte sie also etwas Wichtiges gelehrt. Seit ihrer Rückkehr hatte sie jedoch das beunruhigende Gefühl, dass sich alles veränderte und sie den Boden unter den Füßen verlor.
Hätte ich gewusst, dass Darius wieder hier ist, wäre ich niemals zurückgekommen, dachte Chloé und schloss die Augen. Sie hatte geglaubt, die Vergangenheit wäre für immer abgeschlossen. Hätte sie doch nur Tante Libbys Briefe aufmerksamer gelesen und nachgefragt! Jetzt musste sie mit den Folgen leben.
Aber vielleicht nicht für immer. Wollte Ian wirklich immer in Willowford bleiben? Vielleicht konnte sie ihn überreden, mit ihr wegzuziehen. Doch er würde natürlich wissen wollen, warum. Und was sollte sie ihm antworten, ohne etwas einzugestehen, dass ihrer Beziehung schaden könnte?
Wieder gingen ihr die Worte der Gräfin Almaviva durch den Kopf, die über ihren treulosen Ehemann klagte. Doch in Chloés Fall hatte es gar keinen Treueschwur gegeben. Zwischen mir und Darius ist ja eigentlich nichts passiert – weder damals noch jetzt, versicherte sie sich.
Aber es hätte ganz leicht anders ausgehen können. Und das durfte sie keinen Moment lang vergessen. Wie hatte sie also so dumm sein können, auf Maynard Manor aufzutauchen – und zu glauben, Darius würde sich von ihr fernhalten?
Allerdings glaubte sie jetzt zu verstehen, warum Lindsay Watson sie so feindselig behandelte. Wahrscheinlich hielt sie Chloé aufgrund irgendeiner Bemerkung oder Andeutung für eine Rivalin. Und sie konnte Lindsay noch nicht einmal sagen: „Von mir aus können Sie den feschen Mr Maynard ruhig haben. Viel Glück mit ihm – das werden Sie nämlich brauchen.“ Das war auch deshalb ausgeschlossen, weil offenbar niemand wusste, ob nicht Penny noch irgendwo im Hintergrund darauf wartete, sich wieder zu zeigen.
Plötzlich zitterte Chloé trotz der Wärme. Sie stand auf und ging zurück zum Wagen. Ich möchte jetzt nicht allein sein, dachte sie, als sie den Motor anließ. Sie wollte sich wieder auf das konzentrieren, was wirklich wichtig war. Die ruhigen, vertraulichen Gespräche, die sie und Ian früher geführt hatten, fehlten ihr sehr. Und eigentlich sollten sie doch jetzt anfangen, Pläne zu schmieden, auch wenn diese anders aussähen, als Chloé ursprünglich gedacht hatte.
Spontan beschloss sie, bei Ian vorbeizufahren, der seine Mittagspause häufig im Cottage verbrachte. Doch der Jeep stand nicht wie sonst auf dem verwilderten Grundstück, und auch Fenster und Türen waren geschlossen.
Chloé seufzte resigniert und wollte schon umkehren, als ihr ein Gedanke kam: Wo sie schon einmal hier war, konnte sie sich doch ihr zukünftiges Zuhause einmal genauer ansehen und das Chaos in Augenschein nehmen, in dem Ian lebte. Das würde sich natürlich ändern, sobald sie die Dinge erst einmal in die Hand nähme.
Küche und Esszimmer befanden sich auf der Vorderseite des Hauses, Wohnzimmer und Büro gingen nach hinten auf den Garten hinaus. Chloé nahm ihren Mut zusammen und beschloss, zuerst einen Blick in die Küche zu werfen – vorausgesetzt, die Fenster waren so sauber, dass dies überhaupt möglich war.
Doch zu ihrer Überraschung waren die Glasscheiben streifenfrei. Mit großen Augen erblickte Chloé eine Reihe Blumentöpfe mit Küchenkräutern auf der Fensterbank, eine neue, große Spüle, ordentlich in ein kleines Geschirrregal geräumte Teller und Schüsseln, einen strahlend sauberen Herd und einen quadratischen Holztisch, auf dem eine Schüssel mit Obst stand. Es war sauber und ordentlich. Und was die Kräuter anging – waren nicht Rühreier immer das absolute Maximum gewesen,
Weitere Kostenlose Bücher