Stumme Angst (German Edition)
dass wir im Fall von Frau Hansen nichts tun werden.«
Sorgfältig zählt er auf, was sie unternehmen würden. Erklärt ihm, was INPOL ist, das Informationssystem der Polizei. Annas Daten wurden bereits in dieses System eingespeist und seitdem bundesweit mit Personendaten verglichen.
»Als Nächstes schauen wir uns ihre Wohnung an. Genauso wie Passagierlisten, ihre Bankkonten, Telefonverbindungen. Sprechen mit Freunden, Familienangehörigen. Versuchen Sie, ruhig zu bleiben. In den meisten Fällen gibt es – wie gesagt – eine plausible Erklärung.«
Zu Hause springt der Hund wie verrückt an ihm hoch, er ist es nicht gewohnt, alleine gelassen zu werden, überall nimmt Liam ihn mit, selbst in die Redaktion.
»Der Chef hat deinen Köter übrigens zur Kenntnis genommen«, sprach ihn sein Redakteur letzte Woche an. »Hat erzählt, dass er als Kind auch einen Basset hatte. Hat sich sogar gefragt, ob man das Viech nicht in einer Sendung einsetzen könnte. Im Morgenprogramm oder so. Aber das war eher im Spaß.«
Liam lachte und zuckte mit den Schultern.
»Wenn ich dafür einen festen Vertrag und eine Gehaltserhöhung bekomme – warum nicht.«
In der Redaktion lieben sie Kapitän. Am Anfang, nachdem Emma ihm den Hund aufs Auge gedrückt hatte, brachte er ihn nur aus Verlegenheit mit, weil er nicht wusste, wohin mit dem Köter. Erst hatte er ihn zu Hause gelassen, aber Kapitän hatte ins Bad gepinkelt und war abends nicht mehr von seiner Seite gewichen. Liam nahm sich vor, eine andere Lösung zu finden. Vielleicht sollte er die beiden Alten von gegenüber fragen, ob sie tagsüber auf ihn aufpassten? Eine Schülerin engagieren, die mittags mit ihm spazieren ging? Dass er den Hund zurück ins Tierheim gab, war ausgeschlossen, er hatte es Emma versprechen müssen.
Schon nach einem Tag war Kapitän Redaktionshund geworden. Ließ sich von der gesamten Abteilung streicheln, füttern, wurde immer fetter. Schlief jeden Tag unter einem anderen Schreibtisch. Das Ganze funktionierte wahrscheinlich nur, weil er praktisch nie bellte.
»Guck mal, ob der irgendwo hingekackt hat«, bittet er Marie jetzt, die lacht und Kapitän streichelt.
Liam setzt Wasser für Nudeln auf, reibt Parmesan und stellt Gläser auf den Tisch.
»Sieht so aus, als wäre er bei dir im Bett gewesen«, ruft Marie aus dem Schlafzimmer. »Jedenfalls liegt hier seine Augenklappe.«
Na toll. Hundehaare im Bett. Er würde es frisch beziehen müssen und damit würde etwas verloren gehen. Der Geruch von Anna. Etwas, das geblieben war.
Kapitän spürt seine Unruhe, kommt zu ihm in die Küche und drückt den Kopf an sein Bein.
Mit einem Mal hat Liam Lust, etwas zu zerschlagen, wieso nicht diese beschissene Vase, die immer noch in der Spüle steht. Der Hund und Marie zucken zusammen, aber das Scheißteil geht nicht mal richtig kaputt, bricht bloß an der oberen Hälfte ab.
»Scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiße!«
Als Kind hatte Liam häufig Wutausbrüche, auch als Jugendlicher. Später verstand er: weil sein Vater zu viel Druck ausübte, immer die besten Leistungen voraussetzte.
Marie starrt ihn an und redet beruhigend auf den Hund ein. Sein Blick hängt auf der Vase, seine Mutter hatte sie ihm geschenkt.
Dass er sich bei den Bullen auch so hatte abspeisen lassen! Mit Statistiken. 50 % innerhalb der ersten Woche, weitere 30 % innerhalb des ersten Monats. War ihm scheißegal. Er hätte dort brüllen sollen, gar nicht erst gehen sollen, bevor sie was unternahmen.
Dass er nicht hatte vermitteln können, was an der Sache nicht stimmte! Seitdem sie das Präsidium verlassen hatten, zählte er innerlich Argumente auf. Zum Beispiel die Pillenpackung in Annas Badezimmer. Die lässt eine Frau auch dann nicht zurück, wenn sie übers Wochenende eine Spritztour nach Holland macht.
Dann die Vorstellung von den Kommissaren in Annas Wohnung. Die in ihren Sachen herumschnüffeln, sich die Fotos anschauen, die an ihre Kühlschranktür geheftet sind. Ihr Geruch zwischen den Dingen.
Hübsches Mädel, wird sich der Junge denken und in ihrer Unterwäsche rumwühlen. Ihre Post lesen, ihr Innerstes freilegen. Und was soll dieser Typ in der Wohnung schon finden?
Natürlich wollte er mitgehen. Vielleicht könnte er behilflich sein, wandte er ein, vielleicht würde ihm noch was einfallen.
»Nein«, antwortete der Alte, mit freundlicher, aber resoluter Stimme. Sie würden sich selbst ein Bild machen. Das wäre wie bei einer OP im Krankenhaus, da dürften auch keine
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