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Stunde der Klesh

Stunde der Klesh

Titel: Stunde der Klesh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. A. Foster
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entwickelt.“
    „Ich habe schon von den Derques gehört, aber ich habe noch nie einen gesehen. “
    „Tatsächlich?“
    „Nein, warte. Ich erinnere mich an sie. Ich habe sie doch schon gesehen, ich weiß nur nicht mehr, wo … Ja, ich sehe sie genau vor mir: bizarre Wesen, die kaum noch Ähnlichkeit mit Menschen haben. Sie laufen auf den Händen und schwingen Körper und Beine zwischen ihren langen Armen hindurch. Ihre Füße haben sich so verändert, daß sie als Hände benutzt werden können. Ursprünglich kamen sie auf Kepture nicht vor, sie wurden hierhergebracht von … äh … Chengurune. Ich habe ganz deutlich ein Bild vor Augen: Männer mit langen Kapuzenmänteln, die auf einem Hügel stehen. Es ist sehr windig. Eine ganze Meute von diesen Derques läuft wild durcheinander. Die Männer werfen ihnen einen Stoffetzen hin. Sie packen ihn mit diesen Greiffüßen und halten ihn sich gegenseitig unter die Nase. Häßliche Bestien sind es, sie verzerren die Gesichter und knurren, sind ständig in Bewegung. Ihre Schultern gehen ansatzlos in den Hals über, und ihre Gesichter sind lang und häßlich, abstoßend häßlich. Jetzt haben sie die Fährte aufgenommen und folgen ihr aufgeregt. Sie werfen beide Arme gleichzeitig nach vorn, dann ziehen sie den Körper durch und setzen das Gesäß auf. Sie benutzen es als dritten Fuß. Sie jagen jemanden. Einen Flüchtling. Er ist mir entkommen, und darum habe ich die Derques auf ihn gehetzt … Das alles stammt doch gar nicht aus meinem Gedächtnis!“
    Von Cretus kam keine Antwort.
    „ Versteckst du dich wieder, ja? Es ist mir gleichgültig. Wenn ich mich an die Derques erinnern kann, dann kann ich mich auch an alles andere erinnern. Bald werde ich auch das wissen, mit dem ich mich freikaufen kann …“
    Zum Teil war es so, als würde einem etwas wieder einfallen, was man lange vergessen hatte. Zum Teil war aber auch bewußte Anstrengung nötig; so als ob man versuchte, sich eine schwierige Konstruktionszeichnung ins Gedächtnis zu rufen. Aber eigentlich war es ein Erlebnis, das sich mit nichts vergleichen ließ. Zuerst blitzten Bilder auf, völlig willkürlich. Meure hatte keinen Einfluß darauf. Er erinnerte sich an Dinge, die für Cretus eine wichtige Rolle gespielt hatten, so wie uns vieles einfällt, ohne daß wir uns darauf konzentrieren müssen. Meure sah eine Stuckwand im Licht der Nachmittagssonnen; es war ein schöner Anblick, doch er erfüllte ihn mit Ungeduld, denn er wartete auf die Nacht, die besser geeignet war, um einige wichtige Pläne zu verwirklichen. Dann waren da Nomaden. Eingemummt in lange Umhänge, führten sie ein erregtes Gespräch in einem unverständlichen Dialekt. Sie saßen um ein Lagerfeuer im Herzen der Sümpfe. Er erinnerte sich an eine Schlacht und an ihr Ende. Männer ergaben sich, andere zählten die Gefallenen. Währenddessen stand er auf einem Hügel und schaute über den See, dessen Wasser dunkelrot war. Einer seiner Hauptleute hastete den Hang hinauf und meldete ihm, daß alles genauso verlaufen war, wie er es vorhergesagt hatte. Er dankte dem Mann, der voll Erstaunen zu ihm aufsah, dann wandte er sich wieder dem Anblick des karminroten Sees zu. Dahinter lag der unergründliche Nordozean, und über allem hing das tiefe Blau des Himmels.
    Er fand kein Mittel, diese Ketten von Bildern und Gedanken zu steuern. Geschehnisse und Gesichter tanzten in einem irren Reigen, Nachbilder des gerade Erinnerten vermengten sich mit neu aufblühenden Visionen. Je mehr er sich bemühte, diesen Fluß zu steuern, desto regelloser trieben die Bilder vorbei, desto unterschiedlicher war ihre Dauer. Manche währten nur einen Augenblick, andere schienen minutenlang vor seinem inneren Auge zu stehen. Das meiste war so ungeordnet und wirr, daß es für ihn keinen Sinn ergab.
    Da war eine Szene, die auffällig lange anhielt. Sie mußte einen tiefen Eindruck auf Cretus gemacht haben, denn er hatte sie bis ins kleinste Detail bei sich aufbewahrt. Zunächst erschienen Meure die Bilder bedeutungslos. Er sah eine Stadt, durch ein offenes Fenster betrachtet. Doch etwas an diesem Anblick verunsicherte ihn. Meure konzentrierte sich mit aller Kraft, und es gelang ihm, den ständigen Fluß der Erinnerungen einen Moment lang anzuhalten. Das Bild blieb stehen, und Meure fragte sich noch immer, was daran nicht stimmte. Was mochte es sein, das Cretus bei diesem Anblick so beschäftigte?
    Die Architektur der Stadt war ausgesprochen unkonventionell, aber das war es nicht.

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