Stunde der Klesh
von heftigen Winden bestimmt, die einen ständigen Wechsel verursachen. Am Südpol, wo der Weltozean weder von Festlandsockeln noch von unterseeischen Erhebungen unterbrochen wird, können Wogen und einzelne Stürme den ganzen Planeten umrunden. In gemäßigteren Gegenden kommen Stürme weit weniger häufig vor, hier sind jedoch Wetterschwankungen häufiger anzutreffen. Die dichte Atmosphäre mit dem hohen Wasserdampfgehalt begünstigt eine rasche Wolkenbildung. Es mag überraschen, daß Monsalvat dennoch keine regnerische Welt ist. Gemessen am Wasserdampfanteil fällt wenig Niederschlag. Die Ursache hierfür mag das völlige Fehlen von atmosphärischem Staub sein, das typisch für diesen Planeten ist. Daher hat auch der Himmel, wenn er an klaren Tagen von der Planetenoberfläche aus betrachtet wird, eine dunkle, blau-violette Farbe. Die Wolkenfarben reichen von Weiß über ein gelbstichiges Grau bis hin zu Orange. Dies hängt vom Einfallswinkel der Strahlen der Doppelsonne ab.
Ein Forscher liefert eine subjektive Beschreibung der ungewöhnlichen Art des Lichtes von Monsalvat: Von gläserner Klarheit, und doch schien die Atmosphäre aus etwas anderem als Luft zu bestehen. Von dem von Wolkentürmen und -bändern durchwogten Himmel drangen Lichtpfeile und glänzende Strahlen in sie ein wie in eine dünnflüssige Substanz und schufen eine Stimmung ständiger Veränderung, Gärung, Aktivität, die bald an den Nerven zu zerren begann. Ständig spürte man den Zwang, sich umzublicken. Und nie konnte man sich völlig sicher fühlen, immer schien sich etwas zusammenzubrauen.“
Meure gähnte und blätterte um. Nun begann ein Abschnitt, der die allgemeine Beschaffenheit des Planeten auf einer sehr abstrakttechnischen Ebene behandelte. Ein schwerverdaulicher Text. Meure überflog die allgemeinen Daten und nickte. Nichts an diesem Monsalvat war wirklich außergewöhnlich. Er konnte es leicht zusammenfassen: Monsalvat war eine Welt, die von Wassermassen des großen Ozeans geprägt wurde. Ihr Umfang war etwas größer als gewöhnlich, ihre Masse etwas geringer. Es war ein Planet für Fußgänger: keine sehr großen Entfernungen, keine sonderlich hohen Gebirgszüge. Es gab allerdings ein paar ziemlich niedrige Gebirge. Die Ozeane waren tief, aber keine unendlichen Abgründe. Bisher klang alles recht angenehm, eine Welt zum Ferienmachen. Ein Ort, wo man sich erholen konnte, wo man Zuflucht vor allzu hektischen Dingen finden konnte. Meure schlug eine neue Seite auf.
Dies war ein Abschnitt, den man aus einem anderen Band kopiert hatte. Es ging um die Geschichte des Planeten. Er las ihn sehr sorgfältig.
„… 9223 wurden die Klesh vom Planeten Morgenröte ausgesiedelt und nach Monsalvat transportiert, wo sie völlig unter sich bleiben sollten. Die Klesh waren Menschen, die von einem degenerierten Nebenzweig der Ler zu völlig rassereinen Archetypen gezüchtet worden waren. Zu jener Zeit hielt man sie für kulturell derart verschieden von gewöhnlichen menschlichen Organisationsformen, daß man sie auf Monsalvat isolierte, um ihnen Zeit zu geben, sich umzugewöhnen. Da niemand weise genug sein konnte, um zwischen den unterschiedlichen Stämmen und Rassen Entscheidungen zu treffen, sollten sie sich selbst überlassen bleiben. Man richtete jedoch eine Gouverneur-Stelle ein, um die allgemeine Ordnung aufrechtzuerhalten und friedliche Bestrebungen zu ermutigen.
… Im Rückblick kann die Geschichte der Besiedlung Monsalvats nur als ein großer Fehlschlag betrachtet werden. Nichts in der Geschichte der Menschheit oder der Ler kommt ihm gleich. Gouverneur folgte auf Gouverneur und Verwaltung auf Verwaltung, doch das Ergebnis blieb immer das gleiche: Während sich die Klesh die Grundvoraussetzungen zum Überleben aneigneten, wurden sie gleichzeitig mit den Jahren immer widerspenstiger und barbarischer. Sie schienen sich selbst als vom Schicksal betrogene Rasse zu betrachten, die zu nichts anderem taugte, als den Planeten mit Barbarei zu überziehen; mit endlosen Scharmützeln, Sklaverei und Grausamkeiten aller Art.
… Jeder Klesh, welchem Typ er auch immer zuzurechnen war, hatte einen sonderbaren Standpunkt, von dem er niemals abrückte. Niemand hatte Heimweh nach dem Planeten Morgenröte. Erst recht erinnerte sich niemand an einen Zustand, der vor ihrem Leben auf Morgenröte geherrscht haben mochte. Es gab keine Legenden, keine Sagen, nichts. Die Krieger der Morgenröte hatten alle ihre Verbindungen zur Vergangenheit vollständig
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