Stunde der Klesh
Herrschaft an sich gebracht zu haben.
Meure legte die Blätter neben sich ab, löschte das Licht und zog sich die Decke bis unter das Kinn. Monsalvat! Diese Welt hatte er vergessen. Sie war im Geschichtsunterricht nur als ein unbedeutendes Datum aufgetaucht. Ein Ort, wo es noch Menschenrassen gab. Dies alles erschien ihm so wild und barbarisch, daß er es sich überhaupt nicht vorstellen konnte. Und gerade dorthin waren sie unterwegs. Dies war ihr erklärtes Reiseziel, nicht etwa ein kurzer Zwischenstopp. Meure spürte, wie der Schlaf ihn umfing, und er wehrte sich nicht. Furcht stieg in ihm auf.
Es war kein friedlicher Schlaf. Er warf sich in seiner Koje hin und her, so heftig, daß er fürchtete, die anderen aufzuwecken. Doch alles blieb still und dunkel, und immer wieder sank er zurück in seinen unruhigen Schlaf. Dann begann er zu träumen. Zuerst erschienen nur bruchstückhafte Fetzen, Symbole und Bilder. Aus dem Dunkel stiegen sie auf und versanken wieder, nahmen immer neue Formen, neue Gesichter an. Sehr einfach und unerwartet veränderte sich plötzlich der Traum; er wurde konkreter, so lebendig wie die Wirklichkeit. Er befand sich in einem Palast. Soviel war klar. ‚Nicht eben sehr luxuriös’, kommentierte sein Unterbewußtsein. Doch, es war ganz eindeutig ein Palast. Ein Gefüge aus Steinen. Große, dunkle Steine waren es, schwer und massig. Sie waren geschickt behauen und geschliffen und ohne Mörtel aufeinandergefügt. Dieser Palast war seine Burg. Er konnte sich darin so frei bewegen, wie er es wünschte. Und doch wußte er, daß die Burg auf eine geheime Weise auch sein Gefängnis war. Es gab jemanden, das wußte er, der ihn bediente und den er gleichzeitig fürchtete. Meure war sich all dieser Dinge bewußt, ohne sie zu verstehen. In einem Vorzimmer ging er auf und ab. Dann wechselte die Szene, und er war in einem Verlies, tief unter dem Palast. In eisernen Haltern an den Wänden steckten Pechfackeln und warfen ein flackerndes Licht. Unsicher verhielt er seinen Schritt … Er hatte etwas vor. Etwas, das er fürchtete, etwas … Ehrloses, so schien es ihm. Sein Verstand lieferte ihm kein Bild davon. Er fürchtete das Ungewisse. Gleichzeitig gab es viele Möglichkeiten, sich anders zu entscheiden. In seine Angst jedoch mischten sich mit furchterregender Helligkeit Triumphgefühle. Rachegelüste, die so ursprünglich und stark waren, daß Meure beinahe davon aufgewacht wäre. Er mühte sich, in seinen Traum zurückzukehren, spürte, daß er ihn fast verloren hätte. Jetzt hielt er etwas in der Hand. Etwas metallisch Kaltes, Scharfkantiges. Es zerschnitt fast seine Haut, so fest hielt er es umklammert. Er stieß eine schwere Tür auf und trat in den Raum dahinter. An einer Wand hing dort ein Spiegel mit reichverziertem Rahmen. Er blickte hinein, doch dort entstand kein Bild. Im roten Dämmerlicht sah er schärfer hin. Er mußte wissen, wie er aussah. Endlich klärte sich der Blick, und Meure spürte, wie er dem Aufwachen entgegenschwebte. Aber jetzt konnte er das Bild im Spiegel erkennen. Er sah ein unbekanntes Gesicht. Ein Fremder starrte ihn an. Er hatte ein hartes, bitteres Gesicht; Falten umzogen Augen und Mund. Sein lockiges Haar war genauso rot wie sein sauber gestutzter Oberlippen- und Kinnbart. Ein brutales, knochiges Gesicht, jedoch auffällig schmal. Die Augen blinzelten, um das Dämmerlicht zu durchdringen, sie schienen böse triumphierend zu lächeln. Die zusammengepreßten Zähne blitzten. Meure erwachte schweißnaß, die Augen weit aufgerissen. Die Augen hatten ihn besonders fasziniert. Er hatte versucht, den Spiegel hinabzublicken … aber er konnte sich nicht erinnern. Der Faden war gerissen. Plötzlich hellwach, spürte Meure jenes sonderbare Phänomen, das oft von Menschen beobachtet wird, die aus einem besonders bewegten, rätselhaften Traum erwachen: Die Erinnerung an das Traumgeschehen ist oft eindrucksvoller als der Traum selbst. Dieser rothaarige Mann, die harten, scharfen Gesichtszüge eines streitbaren Einzelgängers. Meure kam dieser Mann bekannt vor. Ein unwirkliches Gefühl ließ ihn frösteln. Er kannte diesen Mann. Er war dieser Mann. Und genausogut war er es nicht. Er war auch er selbst. Er glaubte sogar seinen Namen zu kennen … In seinem ganzen Leben war Meure Schasny keinem solchen rothaarigen Mann begegnet. Langsam verblaßten die eindrucksvollen Bilder. Von irgendwo aus der Gemeinschaftskabine drangen schwache Laute an Meures Ohr. Die anderen erhoben sich aus
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