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Stunde der Klesh

Stunde der Klesh

Titel: Stunde der Klesh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. A. Foster
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Die Ffstretsha war ein kleines Schiff. Es gab nicht viele Orte, an denen sie sich aufhalten konnte. Bis jetzt war es im Schiff still gewesen. Wie auch immer ein Spsom-Schiff sich durch das Weltall bewegen mochte, der Antrieb schien kein hörbares Geräusch zu verursachen. Draußen auf dem leeren Korridor jedoch, fern von den anderen Menschen, stellte er fest, daß es Geräusche gab, Serien von Tönen, die er zuvor noch nie gehört hatte. Sie waren schwach, kaum merkbar, nicht zu lokalisieren, schienen aber aus dem Schiff selbst zu kommen. Meure lauschte angestrengt. Diese Töne konnte er nicht identifizieren.
    Er ging den Gang entlang, dem Bug des Schiffes entgegen. Dann stieg er die Leiter empor, die zum zweiten Deck führte. Die Tür zum Kontrollraum war fest verschlossen, und über dem Rahmen leuchtete trübe eine rote Lampe. Die Offiziersmesse war jedoch offen, und Licht drang heraus auf den Gang. Als Meure auf den Eingang zuging, kam Clellendol heraus. Unter der Tür blieb er stehen und sah in den Messeraum zurück. Als er Meure erblickte, sagte er etwas Unverständliches ins Zimmer hinein. Er gebrauchte die trillernd summende Multisprache der Ler. Aus dem Innern kam keine Antwort. Da schwieg Clellendol, schritt den Gang entlang und verschwand über die Leiter nach unten.
    Die Messe war leer, bis auf einen Gast: Flerdistar. Mitten auf dem Tisch standen zwei Becher, und aus beiden stieg Dampf auf.
    Meure hatte das Ler-Mädchen nicht als sehr attraktiv empfunden, als er ihr zum erstenmal begegnet war, und in der Zeit auf dem Schiff hatte sich seine Meinung kaum geändert. Sie war dünn, fast knochig. Die Grazie, mit der sich das schlanke Menschen-Mädchen Ingraine Deffy bewegte, fehlte ihr völlig. Auch ihr herrisches Auftreten stieß Meure ab, und er ging ihr sooft wie möglich aus dem Weg. Nun, nur durch die Tischplatte von ihr getrennt, konnte er sie aus der Nähe betrachten: Ihre Haut war farblos, der Mund dünnlippig und blaß, die Augen waren grau und immer ein wenig feucht. Ihre Erscheinung war an diesem Abend besonders auffällig, weil sie ein sehr ungewöhnliches Gewand trug. Das Oberteil war sehr locker geschnitten, hatte einen weiten Halsausschnitt und bestand aus einem transparenten Material, so daß der Oberkörper darunter sichtbar wurde. Sie hatte die Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt und saß vornübergebeugt, wodurch sie sehr erschöpft wirkte. Ihre frühreife Streitbarkeit war ausgelöscht.
    Meure fragte: „Störe ich …?“
    Flerdistar antwortete mit leiser, beherrschter Stimme, die müde klang: „Nein, fragen Sie, was immer Sie wollen.“
    Es schwang etwas wie ein Hintergedanke in ihrer Antwort mit. Meure sah sie genauer an. Seine Blicke konnten den Stoff ihrer Bluse leicht durchdringen, doch es gab wenig zu sehen. Ler-Mädchen waren ohnehin meist recht flachbrüstig, und bei Flerdistar war dies besonders ausgeprägt. Der Körper, den er da betrachtete, war der eines zarten Jungen oder der eines Kindes. Meure begann zögernd: „Ich bin nicht genügend mit den Umgangsformen vertraut, um …“
    Sie unterbrach ihn mit einer wegwerfenden Geste der rechten Hand, die wohl andeuten sollte, daß aus irgendeinem Grund die Umgangsformen nicht beachtet zu werden brauchten.
    „Nun, einer der Spsomi hat mir erzählt, daß Sie Träume deuten könnten. Ich hatte einen, hier auf diesem Schiff, dessen Bedeutung völlig dunkel für mich ist, und ich frage mich, ob Sie mir helfen können.“
    Sie lächelte. „Traumdeuterei also … Nein, man kann eigentlich nicht sagen, daß ich so etwas mache. Ich lese die Vergangenheit. Ich lausche der Gegenwart, die … durchdrungen ist von den klingenden Echos der Vergangenheit. Ich siebe Geschichten, Wörter und Legenden, von denen die Literaturwissenschaftler sagen, daß sie verzerrt und unwahr seien, und die doch einmal wahr gewesen sind. Allmählich, Zeile für Zeile, kann ich so vordringen … und es schließlich fast ergreifen; kann es schließlich sehen, ganz so, wie es sich in Wirklichkeit zugetragen hat. Wenn man mir lange genug Zeit läßt, um an einer Sache zu arbeiten, kann ich Geschehnisse rekonstruieren, von denen man annimmt, daß sie ein für allemal in Vergessenheit gesunken sind.“
    „Warum sind Sie hier, unterwegs nach Monsalvat?“ fragte Meure.
    „Es gibt ein großes Geheimnis in der Geschichte meines Volkes. Für Sie mag es ohne Bedeutung sein. Sogar unter uns Ler gibt es viele, die so denken. Die Geschichte ist schnell erzählt: Es gab

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