Stunde der Vergeltung (German Edition)
dir, dermaßen aus der Haut zu fahren wegen einer längst vergangenen beruflich bedingten Affäre mit einer Frau wie ihr. Du benutzt das als Ausflucht, nicht wahr? Du wärst lieber wütend auf mich und eifersüchtig auf Donatella, als zu fühlen, was immer du in Wirklichkeit fühlst. Ist es nicht so? In Bezug auf deine Vergangenheit, deine Familie? Ana oder Stengl?«
Alle Angriffslust verpuffte, und die Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Nein«, flüsterte sie. »Du sollst meine Psyche nicht analysieren.«
»Dann schrei nicht nach einer verdammten Diagnose. Du benimmst dich wie ein kleines Kind. Wenn du Ablenkung von deinen Empfindungen brauchst, werde ich dich jetzt ins Zimmer begleiten und dir eine verschaffen, die du niemals vergessen wirst.«
Tam wich vor ihm zurück und musste sich an der Mauerbrüstung festhalten, die zum Hoteleingang führte. »Nein«, wies sie ihn mit zittriger Stimme ab. »Auf uns wartet Arbeit.«
»Dann erledige sie«, sagte er barsch. »Ich werde dich ablenken, sobald ich zurück bin. Ausgiebig. Verlass dich drauf.«
Tam hastete die Treppe hoch und verschwand in der Hotellobby. Val starrte ihr mit brennenden Wangen nach. Er war halb in Versuchung, ihr zu folgen und sein Versprechen auf der Stelle in die Tat umzusetzen. Sie würde protestieren und kämpfen und kratzen und beißen wie immer … aber dann … oh Dio .
Val kehrte zum Wagen zurück, dabei ballte er unentwegt die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder, um seine Anspannung zu lösen. Und sein schlechtes Gewissen abzuschütteln. Er musste unbedingt weiteres Filmmaterial – das von heute Morgen – schneiden und an Novak senden. Die Sache trieb ihn noch in den Wahnsinn. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer.
Er stieg ein, fuhr den Laptop hoch, steckte das Kabel ein und lud das Material hoch. Beim Anschauen durchlebte er es noch einmal: wie Tam sich bewegte, das Licht auf ihrem Körper, ihre Hände, die sein Haar, sein Gesicht berührten. Ihr schmaler, kerzengerader Rücken war der Kamera zugewandt, und ihre perfekt geformten Hüften wölbten sich nach außen, während sie mit gegrätschten Beinen auf ihm saß.
Sein eigenes Gesicht zeigte zur Kamera, seine Gefühle waren deutlich darauf abzulesen. Ihre Schönheit hypnotisierte ihn.
Er schnitt heraus, soviel er konnte, ohne die Unzufriedenheit des geifernden alten Satyrs zu riskieren, und versuchte gerade, sich ins Web einzuloggen, als ihn eine plötzliche Erkenntnis traf: Im Wagen war eine Luftbewegung, die nicht da sein dürfte. Winzige Bewegungen, das Spiel von Licht und Schatten. Er erstarrte.
Ein leises Geräusch. Nein . Er griff nach der Waffe, doch sie war nicht da.
Zu spät. Ein kaltes Metallrund presste sich in seinen Nacken.
»Hallo, Janos«, sagte Hegel.
18
Tam stand neben der Tür, durch die Gäste rein- und rausgingen, und beobachtete, wie Vals große, breitschultrige Gestalt mit zügigen Schritten in Richtung Parkplatz entschwand.
Plötzlich verspürte sie Angst. Eine verhängnisvolle Vorahnung. Sie wollte ihm nachlaufen, seine Hand nehmen, ihn anflehen, bei ihr zu bleiben.
Werde endlich erwachsen . Val hatte recht gehabt, als er sie wegen ihres kindischen Eifersuchtsanfalls auf Donatella zurechtgewiesen hatte. Er hatte sie praktisch an die Wand genagelt. Seine Spezialität.
Sie konnte nicht abstreiten, dass sie selbst oft genug die gleiche Nummer abgezogen hatte wie er mit Donatella: Augen-zu-und-durch-Sex, um das eine oder andere Ziel zu erreichen, zum Beispiel, um am Leben zu bleiben.
Sie musste sich zusammenreißen und wieder an die Arbeit machen: Gift- und Drogenvorräte für ihre morgige Scharade mit Ana beschaffen und einen Plan austüfteln, wie sie in die Klinik gelangen wollte und was sie tun würde, sobald sie drin war. Sie musste klug, fokussiert und skrupellos agieren.
Tam rannte die Treppe hinauf. Als sie aus dem Treppenhaus in den Flur einbog, warteten dort zwei Männer. Plötzlich hielten sie Schusswaffen in den Händen.
»Keine Bewegung«, befahl der eine.
Sie flankierten sie und packten sie an den Armen. Jemand stieß ihr brutal eine Pistole ins Kreuz. Tam verbot sich, vor Schmerz zu keuchen. Die Mienen der Männer waren undurchdringlich. »Wer … ?«
»Sei still«, zischte einer der beiden.
Sie schleiften sie zum Ende des Flurs, weiter zur Nottreppe und zwei Stockwerke höher. Vor der ersten Tür im Gang blieben sie stehen. Einer der Männer klopfte an.
»Herein«, sagte eine vertraute Stimme. Die Tür ging auf.
Georg Luksch
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