Stunde der Vergeltung (German Edition)
saß, die Beine gespreizt, die Hände auf den Knien, mit dem Gesicht zu ihr auf dem Bett. Seine ruinierten Zähne waren inzwischen überkront. Ihre strahlend helle, unnatürlich weiße Farbe verlieh seinem Raubtiergrinsen einen surrealen Effekt.
Auf Ungarisch bellte er seinen Männern den Befehl zu, zu verschwinden. Tam umklammerte ihren Schmuckkoffer und ihre Handtasche und wartete. Sie zwang sich zu lächeln, verbarg ihre Angst mit der Eloquenz langer und harter Übung.
Er sah besser aus als vor vier Jahren. Während ihrer Zeit bei Novak war er ein glatzköpfiges, vernarbtes Monster gewesen. Inzwischen hatten die Jahre und die Wunder der plastischen Chirurgie seine Narben geglättet. Anstelle der gewundenen, dicken roten Würmer, die über seine Haut gekrochen waren, bildeten die Narben nun dünne, silbrige Unregelmäßigkeiten in seinem wächsernen Antlitz. Er sah aus wie ein Mann, dessen Gesicht auseinandergenommen und nicht ganz richtig wieder zusammengesetzt worden war. Einer seiner Mundwinkel war zu einem permanenten Feixen hochgezogen. Eine seiner Augenhöhlen war kleiner als die andere, das Lid zu straff nach oben gezurrt. Seine Haare waren extrem kurz geschoren. Er war mager, seine hervorspringenden Wangenknochen messerscharf. Seine stechend blauen Augen leuchteten aus den tiefen Augenhöhlen wie die Scheinwerfer eines Autos, das sie jeden Moment überfahren würde.
Tam spürte die teuflische Energie seines Wahnsinns. Sie sah ihn in seinen Augen, in seinem Lächeln. Er war bereits vor ihrer ersten Begegnung mit Luksch da gewesen und seither voll erblüht. Ein Frösteln überlief ihre Haut. Ihr Mund war staubtrocken.
»Georg«, begrüßte sie ihn warm. »Was für ein unerwartetes Vergnügen. Ich hatte keine Ahnung, dass du noch am Leben bist.«
Oh ja, welch unerwartetes Vergnügen. Als hätte man sie nicht mit vorgehaltener Waffe zu seiner Tür geschleift. Sei’s drum.
»Um ein Haar wäre ich das auch nicht mehr«, sagte er. »Ich war fast ein ganzes Jahr in einem Gefängniskrankenhaus eingesperrt. Der alte Novak hat mich rausgeholt.«
»Das war sehr nett von ihm«, antwortete sie. »Leider wusste ich nichts davon.«
Sein Grinsen wurde breiter. »Natürlich nicht, denn ansonsten hättest du ja einen Weg gefunden, zu mir zu kommen. Nach allem, was wir miteinander geteilt haben, war ich mir dessen sicher.«
Tam leitete ihren Schauder des Ekels gekonnt in eine weitere Demonstration warmer Freude um. »Ja? Woher wusstest du das?«
»Wegen dem, was du für mich getan hast.« Er sagte das, als müsste es eigentlich offensichtlich sein.
Hmm. Die Sache war zu mysteriös. Soweit Tam sich erinnerte, hatte sie jedes ihr zur Verfügung stehende Mittel eingesetzt, um ihn mitsamt seines knochigen, milchweißen Arschs zu killen. Allerdings schien es unter den gegebenen Umständen nicht ratsam zu sein, ihn darauf hinzuweisen. Es könnte ihr Schicksal besiegeln, wenn sie sein irres Fantasiegespinst zerstörte. Und damit hatte sie es nicht eilig.
»Was genau habe ich denn getan?« Sie setzte ein verstohlenes Lächeln auf, als trieben sie ein neckisches Spielchen.
Georg lächelte zurück. »Du hast für mich getan, wozu ich selbst zu schwach war. Kurt war so stark. Ich konnte meine eigene Stärke hinter seiner nicht sehen. Doch du hast es bemerkt. Du hast mein Potenzial erkannt.«
»Ja, natürlich«, bestätigte sie devot. »Und ob ich das habe.«
»Es war alles für mich bestimmt!« Georg machte eine ausgreifende Armbewegung. »Das Geld, die Macht, das ganze Imperium! Aber ich wäre nie mehr gewesen als Kurts Diener, wenn du mich nicht befreit hättest.«
Tam holte tief Luft und wagte den Vorstoß. »Es war ein enormes Risiko«, meinte sie bedächtig. »Doch am Ende hat es sich gelohnt. Sieh nur, wie weit du es gebracht hast.«
»Ich bin dir dankbar«, erwiderte er feierlich. »Beinahe wäre ich dabei umgekommen, doch dank dir war es am Ende Kurt, der starb. Also bist du praktisch seine Witwe. Du bist dazu geboren, an der Seite des Imperators zu herrschen, doch es war nicht dein Schicksal, Kurts Gefährtin zu sein, sondern die meine, Tamara. Verstehst du? Kannst du es fühlen?«
Sie machte große Augen, als würde sie eine wundersame Erkenntnis treffen. »Oh. Ja. Jetzt begreife ich.«
Georg stand auf, ging langsam auf sie zu und um sie herum. »Du wusstest es nicht, aber ich beschütze dich schon seit Jahren.«
Tam dachte an Rachel, und ihr wurden die Knie weich. »Mich? Wirklich?«
»Ich habe dem alten
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