Stunde der Vergeltung (German Edition)
hockten sie jämmerlich schweigend vor ihren Kaffeetassen und knabberten nervös an den Nägeln.
Sveti wiegte sich hin und her und starrte in ihren kalten Kräutertee. Ihre bandagierten Rippen taten bei jedem Atemzug weh, ihr Handgelenk pochte in der Schlinge, ihre verbundenen Knie und Hände brannten und stachen, aber sie verdiente es. Sogar Schlimmeres, weil sie zugelassen hatte, dass all das passiert war. Zum zweiten Mal.
»Habt ihr noch mal bei ihr angerufen?«, fragte sie.
Connor schüttelte resigniert den Kopf. »Ich habe es schon zehnmal versucht. Sie ist noch immer nicht erreichbar.«
Sveti verzog das Gesicht und schlug dann die Hände davor. »Sie wird mich so sehr hassen«, wisperte sie.
»Das stimmt nicht. Scheiße, nein«, sagte Sean grob. »Niemand, absolut niemand gibt dir die Schuld, Sveti. Auch Tam wird das nicht tun. Wir haben versagt, weil wir nicht vorsichtig waren. Weil wir diese Sache nicht ernst genug genommen haben. Wir sind alle nachlässig geworden. Du warst direkt vor dem Haus, Herrgott noch mal.«
Sveti schüttelte den Kopf. »Ich konnte noch nicht mal das Autokennzeichen erkennen.«
»Mach dir nichts draus«, wandte Davy in ruhigem Ton ein. »Es war mit Sicherheit gefälscht und hätte uns nicht weitergebracht. Wer immer es auf Tam abgesehen hat, ist ein knallharter Profi.«
»Davy«, fuhr seine Frau ihn an. »Geht es Sveti nicht schon schlecht genug?«
»Entschuldige«, sagte Davy.
Die Polizei war gekommen und wieder gegangen, ein Amber-Alarm war ausgelöst worden, doch niemand machte sich Illusionen, dass sie Rachels Entführer finden würden. Sämtliche McClouds und ihre engsten Freunde hatten sich in Connors und Erins Wohnzimmer versammelt. Alle, bis auf Nick und Becca, die gerade ihre Flitterwochen an einem sonnigen Strand in Mexiko verbrachten. Sveti wünschte, sie wären ebenfalls hier.
Sie rieb sich die verquollenen Augen, bekam vor Furcht und Trauer kaum Luft. Wie verängstigt Rachel sich fühlen musste, ganz allein mit diesen bösen Männern. Der Gedanke tat ihr mehr weh als jeder körperliche Schmerz, den sie sich vorstellen konnte. Es wäre so viel einfacher, sich davon abzulösen und die Gefühle zu unterdrücken, doch das hatte sie noch nie gekonnt. Sie hatte es mit aller Kraft versucht, als sie in der Gewalt der Organpiraten gewesen war, aber es hatte ni cht funktioniert. Nic ht wirklich.
Also war dies die Wahrheit, über die sie sich den Kopf zerbrochen hatte. Der bedrohliche, grausame Albtraum war die Realität. Die Freiheit, die Blumen und der blaue Himmel – dieser Teil war bloß ein hoffnungsvoller Traum. Das war die Antwort auf ihre Frage. Nun kannte sie die Wahrheit, und ihre einzige Zuflucht war der Zorn.
»Sie werden mir das nie wieder antun«, hörte sie sich sagen.
Alle im Raum sahen sie an, als befürchteten sie, das Mädchen könnte einen stressbedingten Nervenzusammenbruch erlitten haben. Mit wildem Blick schaute sie in die Runde. Sie musste es ihnen mit dem wenigen Englisch, das ihr zur Verfügung stand, begreiflich machen.
»Sie werden mir das nicht noch einmal antun. Die Arschlöcher«, verkündete sie. »Ich werde es nicht zulassen. Ich will wie Tam werden. Ich will diesen Arschlöchern in den Arsch treten können. Ich will jedem, der ein kleines Kind verletzt oder ängstigt … die Eier abschneiden. Ihm die Augen auskratzen. Die Gedärme rausreißen.«
Sie schauten sie noch immer an, und Sveti wusste, dass sie ihr Fünfundvierzig-Kilo-Fliegengewicht, ihre dünnen Handgelenke, ihre Zerbrechlichkeit, Schwäche und Bedeutungslosigkeit sahen. Heiße Wut loderte in ihr hoch. Sie ballte die Hände, so schmal sie auch waren, zu Fäusten, hart wie Diamanten.
»Es ist nicht wichtig, dass ich zierlich bin.« Ihre Stimme war hell und zittrig. »Ich bin nicht dumm. Das ist viel entscheidender. Ich kann stärker werden. Ich kann Waffen, Bomben, Raketenwerfer benutzen. Ich werde diese Wichser büßen lassen.«
Margot setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Taille. »Das bezweifle ich nicht eine Sekunde, Liebes«, sagte sie. »Aber wir müssen diese Sache in Ordnung bringen. Ich verstehe, wie aufgebracht du bist, wie verängstigt. Und du bist so jung.«
Die Männer wechselten alarmierte Blicke. Ihre Frauen sahen sie finster an. Es folgte ein Moment knisternder Anspannung.
Sean gab einen unverbindlichen Laut von sich. »Hm. Nun, ich vermute, dann wirst du wohl bei der Polizei landen, Schatz, genau wie dein Vater«, sagte er. »Eines
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