Stunde der Vergeltung (German Edition)
deinen Stuhl ein wenig. Ich mache Platz.«
Novak gab ein Handzeichen, woraufhin der Computer so gedreht wurde, dass der Kamerawinkel auch Imre erfasste, der neben ihm saß. Er war noch stärker abgemagert als beim letzten Mal, sah aus wie ein geschrumpftes Gespenst. Nur in seinen Augen war Leben. Tränen glitzerten darin.
Auch Val kamen nun die Tränen, sie schnürten ihm die Kehle zu und verhinderten die bedeutungslosen Fragen, die ihm auf der Zunge lagen. Geht es dir gut? Haben sie dir wehgetan? Kannst du noch eine Weile durchhalten?
»Vajda, hör mir gut zu«, sagte Imre sanft auf Französisch. »Ich werde dir gleich ein Geschenk machen. Nimm es an, und sei frei.«
Er legte die Hand vor den Mund und zog etwas heraus, bei dem es sich um eine schmale Glasscherbe zu handeln schien.
Panische Angst erfasste Val. »Imre, nein! Was hast du … ?«
»Mach’s gut, mein Sohn.« Imre stieß die Hand nach unten. Jemand schrie. Männer stürzten zu Imre hin, und der Stuhl wurde herumgewirbelt. Blut spritzte in hohem Bogen hervor. Rot glänzend hing Imres Hand in der Luft. Novak brüllte etwas Unverständliches, dann war die blutbesudelte Wand im Hintergrund zu sehen.
Jemand drosch mit der Faust auf die Tastatur. Der Monitor wurde schwarz.
23
András saß an der Strandbar und schlürfte seinen sechsten Espresso, dabei starrte er auf den Bildschirm, der ihm Janos’ Position verriet. Er hatte sich einen Mietwagen genommen und war anschließend ziellos am Strand entlanggewandert. András’ einheimischer Kollege mit dem mobilen Empfänger hielt ihn aus nicht allzu weiter Entfernung unter visueller Beobachtung. Alles war perfekt unter Kontrolle.
Leider hatte Janos Tamara nicht mitgenommen auf seine Vergnügungstour. András hatte gehofft, diese Sache noch heute Morgen unter Dach und Fach bringen und verschwinden zu können. Mit einem Anflug von Argwohn fragte er sich, ob Janos am Ende eine Beziehung zu Steele aufgebaut hatte. Sex mit einer schönen Frau konnte einen unachtsamen Mann in diese Richtung lenken. Nur war Janos alles andere als unachtsam. Er war ein ausgekochter Profi, und Novak hatte ein starkes Druckmittel gegen ihn in der Hand.
Er würde dem Mann befehlen, Steele noch heute auszuliefern, und vielleicht wäre die Angelegenheit damit vom Tisch. Ein reibungsloser, professioneller Austausch.
Falls es so nicht lief, würde die Situation vermutlich eine langwierige, raffinierte Folter nötig machen, denn András ahnte, dass es viel Zeit, Aufwand und schalldichte Zurückgezogenheit erfordern würde, um Janos zu brechen. Er sah sich dieser Aufgabe mehr als gewachsen.
Sein Handy vibrierte. Er warf einen Blick darauf und stellte überrascht fest, dass es der große Boss persönlich war. »Ja?«
»Hast du sie schon?«
Verwirrt über den drängenden Ton des alten Mannes zögerte András. »Janos sehe ich gerade höchstpersönlich vor mir, Steele allerdings nicht.«
»Bring sie her«, bellte Novak. »Heute. Sofort. Tu alles, was du kannst, um sie herzuschaffen. Es gab eine Planänderung.«
»Inwiefern?«
»Wir haben unser Druckmittel gegen Janos verloren«, fauchte Novak. »Der Alte hat sich umgebracht. Er hat sich direkt über meinem türkischen Teppich die Oberschenkelarterie aufgeschlitzt – während seiner Videokonferenz mit Janos.«
András lehnte sich zurück, froh darüber, dass sein Boss sein erfreutes Lächeln nicht sehen konnte. »Keine Sorge. Ich bringe Ihnen Janos. Und die Frau auch. Außerdem habe ich noch ein kleines Geschenk für Sie.«
»Das da wäre?« Novaks Stimme klang verdrossen.
András kostete den Moment aus. »Steeles Tochter. Sie ist drei Jahre alt. Ein hübsches Blümchen, das Sie pflücken können. Sie ist bereits auf dem Weg von Seattle hierher.«
Es entstand eine verblüffte Pause, dann ertönte ein harsches, pfeifendes Lachen. »András, du bist ein Genie.«
Ich weiß, du selbstsüchtiger alter Bastard. Warum hast du dann diesen kriecherischen Hund Luksch mir vorgezogen? »Ich lebe nur dafür, Ihnen zu dienen, Boss«, schnurrte er.
»Ruf mich an, sobald du die beiden hast«, befahl Novak.
András wog seine Optionen ab. Er hatte keine Ahnung, wann Janos die Frau wiedertreffen oder was sie in der Zwischenzeit vielleicht anstellen könnte. Zu viele Unbekannte. Sie könnte sich aus dem Staub machen und sie alle an der Nase rumführen.
Das Beste war, ihren Verbleib jetzt gleich aus Janos herauszuquetschen und die Anzahl der Variablen damit zu verringern. Er gab dem Rest seines
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