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Stunde der Vergeltung (German Edition)

Stunde der Vergeltung (German Edition)

Titel: Stunde der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon McKenna
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behelfsmäßigen lokalen Einsatzteams Bescheid, sich an Janos’ Strand einzufinden. Sollte sich der Mann als schwierig erweisen, wüsste bestimmt einer von ihnen eine verlassene Garage oder Lagerhalle in der Nähe, wo András seine speziellen Talente unter Beweis stellen konnte.
    Val deponierte den Laptop sehr behutsam auf dem Beifahrersitz, als wäre er eine verwundete Person, die keine Stöße abbekommen durfte. Seine Hände fühlten sich taub an. Wie auf Autopilot nahm er die Wagenschlüssel und drückte die Tür zu. Er stolperte auf den steinigen Strand und weiter bis zu der Stelle, wo der Weg sich hinunter zu den felsigen kleinen Höhlen schlängelte.
    Er fiel auf die Knie. Konnte nicht denken, sich nicht rühren. Er war aus seiner Verankerung gerissen, trieb haltlos im Universum.
    Erinnerungen stürmten auf ihn ein. An Schachpartien in der Dämmerung, an volle Teetassen. An Philosophie, Lektionen, Diskussionen und Ermahnungen, die ihn veranlasst hatten, spöttisch die Augen zu verdrehen, während er insgeheim die Aufmerksamkeit genossen hatte. An Bach und Chopin, Dante, Sokrates und Galileo. Van Gogh, Picasso, Rembrandt. An die Welt, die Imre ihm eröffnet hatte. Diese schöne Welt jenseits des verkommenen Lochs, in dem er feststeckte. So schön, auch wenn Val sie nie ganz erreichen konnte. Wie eine Fata Morgana in der Wüste, die ihn auf ewig verspottete.
    Die Kieselsteine klackerten leise aneinander unter jeder Welle, die über den Strand leckte. Val wurde bewusst, dass er an den Ort gegangen war, an den Domenico ihn damals geführt hatte, als er den Schmugglerring infiltriert und es mit Donatella getrieben hatte. Zu den Schmugglerhöhlen.
    Touristen kamen aus aller Welt hierher, um am Strand spazieren zu gehen, Cappuccino zu trinken und Bootsausflüge auf den schimmernden Seen im Inneren dieser mysteriösen Grotten zu unternehmen. Ohne eine Ahnung von der Grausamkeit, Gewalt und Gier, die knapp außer Sichtweite ständig hinter der schönen Maske lauerten.
    Imre . Val fing an zu weinen und schlug mit bebenden Schultern die Hände vors Gesicht. Er fühlte sich wieder wie der zwölfjährige Junge, mit dem Imre vor all diesen Jahren Freundschaft geschlossen und dem er gezeigt hatte, was Vertrauen tatsächlich bedeutete und wie sich Freundlichkeit anfühlte.
    Zum ersten Mal hatte er überhaupt verstanden, was Freundlichkeit überhaupt bedeutete. Er hatte sie zuvor nie gekannt, nicht wirklich. Vals Mutter war nicht grausam gewesen, dafür aber gebrochen und schwach. Zu kaputt von den Drogen und den Enttäuschungen, um zu vertrauen. Zu sehr verloren in der Hoffnungslosigkeit, um freundlich zu sein.
    Er hatte sie trotzdem – verzweifelt – geliebt, obwohl er selbst damals schon gewusst hatte, dass sie ein Wrack war. Freundlichkeit erforderte Stärke und Mut. Zusammenhalt.
    Diese Art von Gedanken war seinem Geist derart fremd, dass es fast schmerzte, sie zu denken. Es fühlte sich an, als würde man zum ersten Mal blinzelnd und unter Tränen die Augen öffnen, unfähig, das strahlend helle Licht zu ertragen.
    Tamar war die stärkste, tapferste Frau, die er kannte. Stark genug, um zu vertrauen. Auch stark genug, um freundlich zu sein, ob es ihr bewusst war oder nicht. Freundlichkeit von ihr zu empfangen wäre etwas Reales, das er berühren, woran er sich festhalten konnte. Etwas, worin er leben konnte.
    Val hatte das diffuse Gefühl, von einem Strudel fortgerissen zu werden, ohne Ruder, ohne Orientierung. Er musste schnell den richtigen Kurs finden, um sich die letzte Chance auf ein echtes Leben zu erhalten. Für ihn, Tamar und Rachel. Sie könnten zusammen ans Ende der Welt laufen, sich wie Rauch in Luft auflösen. Ganz egal was, Hauptsache, Imres letzter verzweifelter Schritt war nicht umsonst gewesen.
    Hol Tamar. Verschwinde mit ihr . Er verfügte über die entsprechenden Mittel, um es durchzuziehen, wenn er nur seinen Hintern, seine kraftlosen Knie, seine Puddingbeine in Bewegung setzen könnte. Wenn er nur aufhören könnte zu weinen.
    Es würde später noch genug Zeit für Tränen geben, wenn er erst mal diese Zuflucht am Ende der Welt erreicht hätte. Seite an Seite mit seiner Familie.
    Seine Familie . Sein Herz fühlte sich an, als würde es zerbersten. Ach, Imre.
    Val rieb sich wieder die Tränen aus dem Gesicht, und in dem Moment sah er sie vor seinen Augen aufblitzen: auf Hochglanz polierte, spitze, handgefertigte schwarze italienische Lederschuhe. Darüber ein Paar maßgeschneiderte Hosen sowie ein

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