Stunde der Vergeltung (German Edition)
leidenschaftliche Energie verlieh.
Sie war so schön. So kostbar. So intelligent. Ihr Mut, das eiserne Durchhaltevermögen ihres geschmeidigen, verführerischen, malträtierten Körpers.
Tränen rannen über ihre Wangen. Trotzig wischte sie sie an ihren überstreckten Armen ab. Was für eine zähe Schale ihren verborgenen zärtlichen Kern umschloss.
Sie war Millionen wert. Sie war ausnahmslos alles wert. Sein Leben, seine Seele, sein Herz. Aber Henry würde das niemals verstehen.
Nicht dieser Henry, den er überhaupt nie wirklich gekannt hatte.
»… hätte dir geholfen, Imre zu retten«, sagte er gerade.
»Imre ist tot«, informierte Val ihn. »Ich bin jetzt wegen ihr hier.«
Er schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht jeden retten, Val. Es tut mir leid. Ich hatte gehofft, dass du dich von hier fernhalten würdest, aber du musstest ja unbedingt deine Nase in diese Sache reinstecken. Hier geht es nur ums Geschäft. Meine Freundschaft zu dir war echt.«
Val richtete den Blick vielsagend auf Henrys Schusswaffe. »Sprich nicht von Freundschaft, während du mir eine Pistole an den Kopf hältst.«
Henry presste den Mund zu einem blassen Strich zusammen. »Es geht nur ums Geschäft«, wiederholte er hart. »Adieu, Val.«
Val starrte zu Tam hoch, sah ihr unverwandt in die Augen. Er hatte den Tod nie gefürchtet, und er fürchtete ihn auch jetzt nicht. Was er empfand, war eine überwältigende Trauer um das Leben, von dem er gedacht hatte, es mit ihr teilen zu können. Ein unwahrscheinlicher Traum, der offenbar dazu bestimmt war, mit einem Kopfschuss zu enden, aber trotzdem. Diese flüchtige Fantasie und diese kurze Hoffnung waren das Schönste, was er je erlebt hatte. Dafür war er dankbar.
Er wappnete sich, wartete, die Augen auf Tam fixiert.
»Nein«, rief Georg plötzlich. Er musterte Val, in seinem Gesicht ein Ausdruck der Erkenntnis. »Jetzt noch nicht. Ich möchte, dass er zusieht.«
Henry runzelte die Stirn. »Zusieht bei was? Meinen Sie etwa … oh nein. Um Himmels willen, das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Hier und jetzt?«
»Ja. Es ist perfekt.« Georgs Augen funkelten vor wilder Erregung. »Er ist das perfekte Publikum. Es wird die beste sexuelle Erfahrung meines Lebens werden. Los, schaff ihn näher ran, damit er alles sehen kann. Halt ihn fest. Er muss hinsehen. Töte ihn, wenn ich komme. Exakt in dem Moment, wenn ich komme.«
Henry verzog angewidert den Mund. Mit einem Rucken seines Kinns bedeutete er dem anderen schwarz gekleideten Mann näherzutreten. »Halt die Waffe auf seinen Kopf gerichtet«, wies er ihn knapp an. »Sollte er sich bewegen, jagst du ihm eine Kugel ins Hirn.«
Der Mann drückte die Waffe gegen Vals Schläfe. Henry trat hinter ihn, zerrte erst den verwundeten Arm, dann den unversehrten auf seinen Rücken, dabei übte er eine grausame Hebelwirkung auf die verletzte Schulter aus. Val fühlte sich in einem unnachgiebigen Schraubstock der Pein gefangen.
Seine Lungen pumpten mit heftigen, bebenden Stößen. Das Blut lief nach unten und tropfte von seinen Fingerspitzen. Er fühlte die Wärme, das Brennen, als sich das heiße Nass ausbreitete.
Henry zerrte ihn zu der Ecke, wo Tam hing. Der Mann, der Val die Waffe an den Kopf hielt, folgte ihnen Schritt um Schritt.
Dann trennten Val nur noch wenige Meter von ihr. Henry war hinter ihm, der Schütze neben ihm und Tam vor ihm. Mit glühendem Blick sah sie auf ihn runter.
»Dies ist von nun an dein Leben«, sagte Val zu seinem ehemaligen Freund. »Du wirst jede perverse Laune dieses abartigen Sadisten befriedigen müssen, auf die Knie fallen und für Geld seinen stinkenden Arsch küssen. Genieß es, Henry. Du hast es dir verdient.«
»Komm mir bloß nicht blöd«, zischte Henry. »Das hier war nicht meine Entscheidung.«
»Oh, doch, das war es. Du hast dich kaufen lassen. Und jetzt wirst du bezahlen.«
Aber jeder Gedanke an Henry verflüchtigte sich aus Vals Kopf, als Georg auf Tam zuging und sich dabei den Schritt massierte.
Als hätte sie verdammt noch mal eine weitere Herausforderung gebraucht. Als wäre die Situation noch immer ein bisschen zu langweilig, zu einfach gewesen. Jetzt musste auch noch Val auftauchen und sich in Todesgefahr bringen.
Der Teufel sollte ihn holen, weil er die Dinge verkomplizierte. Tam wäre lieber mit verletzten Gefühlen, mit der Überzeugung, ihn zu hassen, und dem Wissen, dass er ein hinterlistiger Verräter war, gestorben, als miterleben zu müssen, wie er versuchte, sie zu retten. Viel lieber
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