Stunde der Vergeltung (German Edition)
des Gebäudes ins Gedächtnis. Der Lärm schien von oben zu kommen, allerdings könnte es eine akustische Täuschung sein. Als ihn überwältigende Angst überkam, rannte er auf die breite Treppe zu, nahm drei Stufen auf einmal. Um Tams willen würde er so lange durchhalten wie möglich, aber er wusste, was er seinem verwundeten Körper abverlangen konnte und was nicht. Er kannte das Gefühl: die Taubheit, die Kälte, das scheußliche Kribbeln.
Ihm blieben nur noch Minuten, bevor sein Körper schlappmachen würde.
Am Treppenabsatz hielt er inne und lauschte mit sinkendem Mut in die Stille. Doch, da war es wieder, ein Schreien, das schnell unterbunden wurde. Links von ihm. Ohne sich noch länger darum zu kümmern, unbemerkt zu bleiben, humpelte er den Gang hinunter auf das Geräusch zu.
András kam um die Ecke, unter dem Arm die zappelnde, strampelnde Rachel, während seine andere Hand wild mit einer Pistole herumfuchtelte. Als er Val erkannte, blieb er wie angewurzelt stehen, dann riss er Rachel nach oben, sodass sie seine Brust, seinen Hals und seinen Kopf abschirmte.
Val hechtete zur nächstgelegenen Tür, als András das Feuer eröffnete, und trat das marode Ding aus den verrosteten Angeln. Dann stürzte er sich in die stickige Dunkelheit. Kugeln krachten in die Wände und den Boden, Holz-, Fliesen- und Stucksplitter sirrten durch die Luft.
Sobald Stille eingekehrt war, rief Val über das Klingeln in seinen Ohren hinweg: »Es ist vorbei, András. Sie sind tot. Lass das Mädchen runter.«
»Wer ist tot?«, blaffte András.
»Alle. Tot oder über alle Berge. Hast du die Schüsse nicht gehört?«
András zögerte. Er hatte sie gehört, aber nicht gewusst, welche Schlüsse er daraus ziehen sollte. »Ich bestimme, wann es vorbei ist, Schwanzlutscher«, knurrte er, aber es schwang Verunsicherung in seinen Worten mit.
Rachel stieß einen weiteren durchdringenden Schrei aus, der sämtliche Moleküle in Vals Körper in Aufruhr versetzte. Er hörte ein Klatschen, eine leise Verwünschung. »Halt den Mund, du verdammte Heulboje, sonst werde ich … «
Seine restlichen Worte gingen in markerschütterndem Kreischen unter – lauter als das davor.
Eine Kugel sirrte an seinem Ohr vorbei und streifte sein Haar. Val ging wieder in Deckung, nachdem er festgestellt hatte, dass Rachels zappelnder Körper noch immer alle geeigneten Zielpunkte verdeckte. Merde . Er saß in der Falle wie eine Ratte in einem Käfig. Er konnte weder zurückschießen noch konnte er András in die Flucht schlagen und verfolgen. Er konnte nichts ausrichten.
»Die Pistole zielt auf ihren Kopf«, rief András mit provozierender Stimme. »Wirf deine Waffen raus auf den Flur und komm mit ausgestreckten Händen aus dem Zimmer. Wir werden uns mit dem Boss unterhalten.«
»Er ist tot«, wiederholte Val erschöpft.
»Natürlich ist er das«, säuselte András. »Und dieses schreiende Schätzchen wird das auch bald sein. Ich kann es kaum erwarten.«
»Es ist aus, András. Novak ist tot. Alle sind tot.«
»Wirklich? Wenn der Boss tot ist, warum sollte ich sie dann nicht auf der Stelle abknallen? Oder noch besser: Ich schieße ihr irgendwas weg, eine Hand oder einen Fuß. Es wäre mir ein Vergnügen, nach all dem Ärger, den sie mir gemacht hat. Aus dieser Entfernung könnte ich ihr den Unterschenkel wahrscheinlich direkt am Knie abschießen. Willst du es herausfinden? Soll ich es versuchen?«
»Nein«, sagte Val hastig. »Tu das nicht.«
»Nein? Die Idee gefällt dir nicht? Dann wirf deine verdammten Waffen raus. Sofort.«
Die Griffe waren klebrig von seinem geronnenen Blut. Val lockerte den Griff um die beiden Pistolen, die er den toten PSS-Agenten abgenommen hatte.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe, du schwanzlutschender Stricher?« András’ Ton hatte sich vor Anspannung verschärft. »Ich zähle bis fünf, dann verliert sie einen Fuß. Eins. Zwei. Drei … «
Val ließ die Waffen fallen. Sie landeten klirrend auf dem Fliesenboden.
»Kick sie raus auf den Gang.« András musste die Stimme heben, um Rachels Kreischen zu übertönen. »Jetzt streck die Hände aus.«
Val gab den Pistolen einen Tritt. Scheppernd rutschten sie über die Fliesen.
Von seinen Händen tropfte Blut. Die Finger weit gespreizt, streckte er sie aus der Tür, um András zu beweisen, dass sie leer waren.
»Komm raus und leg deine Hände auf den Kopf.«
Val trat langsam in den Korridor, dann hob er die Arme und verschränkte die Hände über dem Kopf.
András
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