Stunde der Wahrheit
die finsteren Gedanken endgültig vergessen und lachte teilweise so sehr, dass sie Magenkrämpfe bekam. Sie und Ryan bewarfen sich sogar mit Popcorn und alberten so laut herum, dass sich einige Kinogäste verärgert zu ihnen umdrehten. Kurzum, sie amüsierte sich prächtig. Als sie aus der Spätvorstellung kamen, war es bereits kurz vor zwei und Ryan bestand darauf, sie nach Hause zu bringen. Glücklicherweise wohnte Emma im mittleren Stadtteil, so dass sie es nirgendwohin wirklich weit hatte. Selbst das Kino lag nur sieben U-Bahn-Stationen von ihr entfernt, doch offenbar fühlte sich Ryan dazu verpflichtet, seine Verabredung zu so später Stunde nach Hause zu bringen. Also ließ sie sich begleiten.
Den gesamten Weg über alberten sie herum und unterhielten sich über den Kinofilm. Dabei fiel Emma nicht zum ersten Mal auf, dass sie ziemlich gut zusammenpassten, was den Humor und ihre Interessen anging. Vielleicht, wenn er nicht so jung und sie nicht von ihren Ex-Partnern tief verletzt worden wäre, überlegte sie. Als sie zwanzig Minuten später vor ihrer Tür standen und Emma ihren Schlüssel herausfischte, sagte er:
»Hier wohnst du also.« Emma warf einen Blick auf die Außenfassade ihres Hauses, die eine Sanierung längst nötig hatte und bestätigte:
»Ja. Hier wohne ich. Nichts Besonderes, ich weiß, aber es liegt sehr zentral.« Als sie den Kopf senkte und wieder zu Ryan schaute, war er ihr näher gekommen.
»Du schon«, sagte er und Emma, die von seiner plötzlichen Nähe alarmiert war, fragte:
»Was meinst du?«
»Dass
du
etwas Besonderes bist.« Behutsam berührte er ihr Gesicht und als Emma erkannte, was er vorhatte, war es schon zu spät. Er hob ihr Kinn und beugte sich vor, dann lagen seine Lippen auf den ihren. Zuerst war Emma schockiert und versteifte sich instinktiv. Doch als er nicht nachließ und seine Lippen neckend über ihre strich, wurde sie von einem plötzlichen Verlangen gepackt. Sie hatte das dringende Bedürfnis, fest in den Armen gehalten und auf eine Weise geküsst zu werden, die sie alle Sorgen und Enttäuschungen vergessen ließ und genau das konnte Ryan ihr geben. Sie stieß einen Seufzer aus und schlang ihre Arme um seinen Hals, damit sie ihn näher heranziehen konnte. Sie konnte deutlich spüren, wie sein Körper auf ihre Nähe reagierte. Seine Hände wanderten zu ihrem Nacken und seine Zunge bahnte sich einen Weg durch ihre Lippen.
Als sie ihrerseits durch seine dichten Haare fuhr, durchzuckte sie ein Blitz und ihre Gedanken wendeten sich einer ganz anderen Person zu.
James
. Er hatte dieselben dichten Haare, doch sein Körper war größer, fester und männlicher. Sie erinnerte sich unwillkürlich daran, wie sie in seinen Armen gelegen und auf dieselbe Weise geküsst worden war. Nein, nicht genauso. Während Ryan noch etwas unbeholfen und schüchtern wirkte, hatte James stets gewusst, was er wollte und es sich auch genommen. So plötzlich, wie das Verlangen gekommen war, verblasste es wieder und Emma wurde von einer plötzlichen Kälte erfasst, die nichts mit der kühlen Nachtluft zu tun hatte. Sie wich so plötzlich zurück, dass sie gestolpert wäre, wenn Ryan sie nicht an einem Arm festgehalten hätte.
»Stimmt was nicht?«, fragte er und schaute sie aus glasigen Augen an. Sein Gesicht war leicht gerötet und seine Haare zerzaust.
»Äh nein … ich meine doch ... ich.« Sie holte tief Luft und befreite sich sanft aus seiner Berührung.
»Tut mir leid. Wir hätten das nicht tun sollen. Ich … bin noch nicht soweit«, sagte sie. Er sah sie verständnislos an, dann machte sich Erkenntnis in seinen Augen breit.
»Oh, du hast gerade erst eine Trennung hinter dir? Wenn ich das gewusst hätte …« Emma konnte sich nicht dazu überwinden, ihm zuzustimmen. Sie wollte jetzt bestimmt nicht über James sprechen und schon gar nicht mit jemandem, den sie gerade geküsst hatte.
»Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast. Wir sehen uns morgen«, unterbrach sie ihn. Er nickte und sie konnte sehen, dass er einen inneren Kampf führte. Als wollte er etwas sagen, war sich aber nicht ganz sicher.
»Habe ich dich bedrängt? Ich hoffe, ich bin nicht zu weit gegangen?«, fragte er, doch Emma schüttelte den Kopf. Zu heftig vielleicht, denn es machte den Eindruck, als wolle sie ihn loswerden. Was sie auch wollte, aber aus einem anderen Grund, als er vielleicht dachte. Er hatte überhaupt nichts falsch gemacht, es lag nur an ihr.
»Nein, hast du nicht.« Sie wartete darauf, dass er
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