Sturm der Barbaren
sei denn, Lorn stirbt vor seinem Vater, dann würde Vernt zum Erben.
»Er hat deine Fähigkeiten beleidigt und doch bist du ziemlich sanft mit ihm umgegangen.«
»Ich habe den Säbel in der linken Hand gehalten und er hat es nicht bemerkt.« Lorn lacht. »Ich fürchte, er wird auch in Zukunft so unachtsam bleiben.«
»Mit der linken Hand? Warum?«
»Vielleicht wird es mir eines Tages nützlich sein. Im Kampf greifen die Barbaren – oder auch andere – nicht immer von der Seite an, auf der man sich am besten verteidigen kann.«
»Wie lange kämpfst du schon mit beiden Händen?«
»Vielleicht zwei Jahre.« Lorn verstummt, als ihre Mutter die Eingangshalle des zweiten Stocks betritt.
»War das nicht eben der junge Dettaur?«
»Ja, das war er«, antwortet Jerial.
Nyryahs Blick wandert von Jerial zu Lorn. »Es wundert mich, dass er uns besucht …«
»Mich nicht«, wirft Jerial ein.
»Du bist Heilerin. Er macht sich vielleicht Hoffnungen, aber du stehst ganz klar über ihm. Er ist schließlich Lanzenkämpfer«, meint die Mutter.
»Das bin ich auch«, bemerkt Lorn.
»Notgedrungen, aber nicht weil du zu wenig intelligent oder unfähig für einen anderen Beruf wärst.« Nyryah schüttelt den Kopf. »Ich glaube, ich sollte so etwas gar nicht sagen, aber in diesen Tagen hat es keinen Sinn mehr, so übertrieben vorsichtig zu sein.«
Lorn verharrt in einem Stirnrunzeln und bündelt seine Sinne auf die Mutter. Er findet weder das Chaos einer Krankheit noch die Dunkelheit der tödlichen Ordnung, nicht einmal eine kleine Spur davon. Dennoch stimmt irgendetwas nicht mit ihr … er kann es jedoch nicht genau erkennen, geschweige denn beschreiben.
»… habe diesen jungen Mann noch nie gemocht, selbst damals nicht, als er mit dir in der Schule war, Lorn. Er war nicht in deiner Stufe.«
»Er ist zwei Jahre älter als ich und war immer eine Stufe vor mir«, antwortet Lorn.
»Es gab damals ein ziemliches Gerede, als er sich den Finger beim Korfalspiel brach. Natürlich nur unter den Heilern.« Nyryahs Augen funkeln ein ganz klein wenig. »An der Schule hat es niemand herausgefunden, ihnen ist nicht aufgefallen, was ein Heiler sehr wohl bemerkt, nämlich dass jeder Mensch sein ganz persönliches Chaos-Muster besitzt, so verschieden wie die Augen oder die Wirbel auf jedem Finger. Manchmal bleibt dieses Muster nach einem Kampf zurück. Ein Magier kann sein Chaos-Muster selbst verändern, aber die meisten denken nicht daran.« Sie lächelt ihre Kinder an. »Aber es ist dumm von mir, so alte Geschichten wieder hervorzukramen.«
Wieder kann Lorn nur nicken; er muss akzeptieren, was er nicht bestätigen kann, nicht in Cyad, nicht wenn man ständig und überall in die Fänge eines Chaos-Glases geraten kann.
Zwei Treppen unter ihnen geht die Vordertür auf und Kien’elth betritt die Eingangshalle. Er quält sich die Stufen herauf, sein Atem geht schwer. Die drei warten, bis er sich zu ihnen gesellt hat.
Wie Jerial vorhin bewegt auch er sich langsam, sein Gesicht wirkt blass und abgespannt und er keucht heftig, als er den zweiten Stock erreicht. »Wo bist du heute gewesen?« Kien’elth blickt seinen ältesten Sohn prüfend an.
»Ich habe Tyrsal im Viertel abgeholt. Wir waren dann in einem kleinen Kaffeehaus außerhalb des Viertels, um etwas zu essen. Dann ging ich ins Übungsgebäude im Lanzenkämpferviertel und habe den ganzen Nachmittag trainiert.«
Kien’elth nickt. »Ich habe zwar nichts anderes vermutet, aber ich wollte mich doch vergewissern.«
»Die Chaos-Explosion?«
»Du weißt davon?«
»Jerial hat mir davon erzählt.« Lorn runzelt die Stirn. »Die Explosion kann nicht so arg gewesen sein. Ich habe nichts davon gespürt.«
»Sie war nicht sehr groß. Eine einzige Zelle in einer der Feuerkanonen war defekt. Aber das Schiff hatte unter anderem Lampenöl geladen und ein Bruchstück von dem heißen Metall der Kanone traf auf die Fässer.« Kien’elth deutet ungefähr in die Richtung des Hafens. »Hast du den Rauch nicht gesehen?«
»Ich hätte ihn wohl sehen müssen, aber …«, Lorn errötet, »ich war so mit meiner Kampftechnik beschäftigt, dass ich ständig nur daran gedacht habe, was ich noch alles üben muss.«
Jerial zieht die Augenbrauen hoch und enthält sich eines Kommentars darüber, welcher Natur die Übung ihres Bruders wohl war; stattdessen berichtet sie: »Dettaur ist gerade wieder gegangen, er hat Lorn zufällig im Übungsgebäude gesehen. Er hat natürlich erst danach herausgefunden, dass
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