Sturm der Barbaren
passt offenbar der vertraute Ton nicht, in dem Lorn mit ihm spricht, und seine Augen prüfen die Streifen auf dem Kragen des jungen Hauptmanns. »Ich habe das Glück, befördert worden zu sein, und das erfordert einen Dienstortwechsel. Die Annehmlichkeiten eines Urlaubs gehen damit einher.« Ein falsches Lächeln verzieht ihm die Lippen. »Und du?«
»Nur ein Dienstortwechsel. Die Beförderung liegt schon ein paar Jahre zurück.«
»Wir haben Euch lange nicht gesehen«, bemerkt Jerial mit einem offenbar ehrlich gemeinten Lächeln. »Es gibt doch bestimmt einen Grund, warum Ihr gerade heute kommt.«
»Genau genommen gibt es zwei Gründe: erstens wegen Eurer guten Arbeit in der Lanzenkämpfer-Krankenstation und zweitens wegen Eures Bruders. Ich habe gesehen, wie er sich … abgemüht hat beim Training und seine Gegenwart hat mich an Euer zauberhaftes Wesen erinnert.«
»Ich muss zugeben, dass ich mich wirklich bemüht habe«, gesteht Lorn gut gelaunt. »Ich werde noch viele meiner verbleibenden Urlaubstage damit verbringen müssen, meine Fähigkeiten zu verbessern. Ich habe dein Können bemerkt, Dettaur, du hast dich um einiges verbessert, seit wir das letzte Mal zusammen trainiert haben.«
»Ich bedauere, dass wir nicht die Gelegenheit haben werden, uns zu messen … diesmal.« Dettaur lächelt.
»Vielleicht ein andermal.« Auch Lorn lächelt.
»Werden wir Euch bald wieder einmal sehen?«, fragt Jerial höflichkeitshalber.
»Leider nein, verehrte Heilerin«, sagt Dettaur, »wäre ich nicht heute gekommen, durch Euren Bruder an Euch erinnert, hätte ich überhaupt nicht kommen können. Ich werde übermorgen nach Assyadt abreisen und dort den Posten des stellvertretenden Befehlshabers übernehmen.« Dettaurs Lächeln ist gleichzeitig an Lorn und an Jerial gerichtet.
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagt Lorn. »Assyadt wird von den Jeranyi bevorzugt angegriffen.«
»Das wird sich ändern, wenn ich dort bin«, verspricht Dettaur.
»Ich bin sicher, sie werden Eure Anwesenheit dort zu spüren bekommen«, stimmt Jerial zu. »Das habt Ihr schon vielerorts bewiesen.«
»Und über einen langen Zeitraum hinweg«, fügt Lorn hinzu.
Dettaur wird rot. »Für einen Hauptmann, Lorn, bist du ganz schön …«
»Aufsässig?« Lorn schüttelt den Kopf. »Du hast immer das erreicht, was du wolltest. Und das schon seit Jahren. Man kann es wohl kaum als aufsässig bezeichnen, wenn ich nur von Tatsachen spreche.« Lorns Mund formt ein kaum wahrnehmbares Lächeln. »Unklug, vielleicht, aber nicht aufsässig, Major Dettaur.«
»Unklug. Das gefällt mir.« Dettaur verneigt den Kopf vor Jerial und erhebt sich. »Mit Eurer Erlaubnis, Heilerin, werde ich Euch wieder besuchen, aber es wird erst in einer Jahreszeit oder auch später sein.«
»Sicher werde ich noch einige Zeit hier verbringen, Major.« Jerials Lächeln wirkt einstudiert, so würde sie wahrscheinlich auch einen schwierigen Patienten anlächeln. Sie nickt kurz. »Bis dann.«
»Ich sehe diesem Tag mit Freude entgegen, verehrte Heilerin.« Dettaur lächelt triumphierend, wenngleich seine Stimme gleichmütig bleibt, und er verbeugt sich tiefer als notwendig vor Jerial.
Lorn bringt seinen früheren Schulkameraden und nun höherrangigen Lanzenkämpfer hinunter zur Tür.
Dort verneigt Dettaur kaum merklich den Kopf. »Deine Schwester ist sehr freundlich, anziehend und begabt. Es wäre eine Schande, würde sie sich nicht vermählen.«
»Diese Entscheidung liegt ganz bei ihr.«
»Vielleicht kann ich ihre Meinung ändern.«
»Vielleicht.«
»Oder deine, Hauptmann Lorn. Geliendra ist eine größere Herausforderung als die Barbaren.«
»Ich weiß deinen Rat zu schätzen, Sub-Major Dettaur.« Lorn verbeugt sich respektvoll.
Dettaurs Augen funkeln zwar, aber die Verbeugung erwidert er. »Überbringe deiner Schwester meine Grüße.«
»Das werde ich.«
Hölzern wendet sich Dettaur zum Gehen.
Lorn wartet, bis der Sub-Major die Treppe zur Straße des Fortwährenden Lichts hinuntergestiegen ist, bevor er wieder ins Haus geht. Eilig läuft er hinauf in den zweiten Stock.
»Dettaur hat mich gebeten, dir seine Grüße zu überbringen.«
»Du weißt, was er andeuten wollte?«, fragt Jerial, die noch immer im Lehnstuhl sitzt, als Lorn in den Wohnraum zurückkommt.
Lorn nickt. Dettaurs Absicht ist klar: Jerial wird nur noch so lange zu den Magi’i gehören, wie Kien’elth am Leben ist, da Lorn der älteste männliche Nachkomme ist und nun zu den Lanzenkämpfern gehört. Es
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