Sturm der Herzen
auftauchen sahen, breitete sich Erleichterung in ihren Gesichtern aus. Thompson machte einen Schritt nach vorne und erklärte: »Master! Wir haben einen Schuss gehört und schon das Schlimmste befürchtet.«
Marcus lächelte und erwiderte ruhig: »Kein Grund zur Sorge; Ihre Herrin und ich sind unversehrt. Ein Wilderer muss sich dem Haus versehentlich zu weit genähert haben.«
Thompson wirkte gekränkt. »Als ob Ihr Wildhüter so etwas dulden würde.«
Mit vor Aufregung glänzenden Augen rief George, der kleinere der beiden jungen Lakaien: »Ich wette, es war dieser Einbrecher, der Sie beide in Ihren Betten umbringen wollte!«
Marcus lachte und zauste George das Haar. »Das bezweifle ich dann doch.« George schien mehr aufgeregt als in Sorge bei der Vorstellung des bevorstehenden Ablebens seines Herrn. »Wer auch immer dort draußen war, ist inzwischen fort«, erklärte Marcus. »Ehe wir zum Haus zurückgekehrt sind, haben wir ein Pferd davongaloppieren gehört. Und bei diesem Regen wird niemand, sei es nun Wilderer oder Einbrecher, ums Haus schleichen. Ich schlage vor, alle gehen wieder ihren Pflichten nach. Mrs Sherbrook und ich werden uns für die Nacht zurückziehen.«
Ihre Zofe Peggy war nirgends zu finden, als Isabel ihr Zimmer betrat, aber Zeichen ihres Fleißes waren in dem ordentlich aufgeschlagenen Bett und dem zarten Leinennachthemd mit dem passenden Morgenrock zu erkennen, die auf der cremefarben und grün gemusterten Bettdecke lagen. Isabel verschwendete keine Zeit und entledigte sich rasch ihrer nassen Kleider, sie schlüpfte in das Nachthemd. Da ihr nach dem Abenteuer eben kalt war, ließ sie den Leinenmorgenrock unbeachtet und ging zu dem schweren Mahagonischrank im Ankleidezimmer nebenan. Sie öffnete eine Tür und fand schnell den gelben Wollmorgenmantel, den sie gesucht hatte. In die warme Wolle gehüllt ließ sie sich Zeit, in Ruhe ihre Haare aus der Hochsteckfrisur zu lösen, die sie heute Abend getragen hatte. Dann bürstete sie sich energisch die schweren kastanienroten Locken aus. Als sie in weichen Wellen ihr Gesicht umrahmten, ging sie wieder in ihr Schlafzimmer zurück und stellte erfreut fest, dass Peggy einmal mehr erraten hatte, was ihre Herrin benötigte, sie war damit beschäftigt, ein Tablett auf einem der Rosenholztischchen abzustellen, die überall in dem geräumigen Zimmer verstreut standen.
Peggy blickte auf und schaute sie voller Zuneigung an: »Ich dachte, Sie hätten vielleicht gerne etwas heißen Tee in einer Nacht wie dieser. Es ist auch etwas warme Milch da, wenn Ihnen das lieber ist. Und ein paar Kekse.«
Peggy war beinahe zwanzig Jahre älter als ihre Herrin und ihre Kammerzofe, seit sie auf Manning Court eingezogen war. Sie hatten als Fremde begonnen, und anfangs hatte Peggys forsche und unverblümte Art Isabel eingeschüchtert, aber über die Jahre hatten sie einander schätzen gelernt; inzwischen verband sie eine Freundschaft, die über das normale Verhältnis von Herrin und Dienerin hinausging.
Zufrieden, dass alles mit dem Teetablett stimmte, ging Peggy zum Bett, nahm den Leinenmorgenrock und brachte ihn ins Ankleidezimmer. Als sie zurückkam, betrachtete sie Isabel kritisch, ihr entging nicht, dass sie zitterte, weshalb sie verlangte: »Jetzt aber ins Bett mit Ihnen! Sie sind völlig ausgekühlt, und das Letzte, was Sie im Moment gebrauchen können, ist eine Erkältung.«
Isabel widersprach nicht. Sie schlüpfte aus dem Morgenmantel und unter die Decke, dabei merkte sie entzückt, dass Peggy, obwohl es bereits Mai war, das Bett mit einem erhitzten Stein vorgewärmt hatte. Gestützt von mehreren Kissen setzte sich Isabel auf und faltete die Decke ordentlich über ihrem Schoß zurück, dankbar nahm sie die Tasse dampfenden Tee, die Peggy ihr reichte.
Nachdem sie einen Schluck genommen hatte, erklärte Isabel mit einem Lächeln: »Was würde ich nur ohne dich tun, liebe Peggy? Du denkst einfach an alles. Ein wohlig warmes Bett und heißer Tee - herrlich!«
Peggy machte eine wegwerfende Handbewegung. »Als ob man besonders klug sein müsste, um zu erkennen, dass in einer Regennacht wie heute warme Laken und heißer Tee willkommen wären.«
Mit belustigt funkelnden Augen erwiderte Isabel kleinlaut: »Beides ist mir allerdings höchst willkommen. Danke.«
»Bitte, gern geschehen.« Peggy griff nach dem ausgezogenen Wollmorgenmantel und legte ihn ordentlich über die Lehne eines Stuhles neben dem Bett und schaute sich noch einmal kritisch um, als suche sie
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