Sturm der Herzen
nach etwas, das nicht in Ordnung war. Nachdem alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, tastete sie nach dem ordentlichen Knoten hellbraunen Haares in ihrem Nacken und erklärte: »Nun, wenn das dann alles ist, dann ziehe ich mich für heute Nacht zurück. Es sei denn, natürlich, Sie brauchen mich noch weiter?«
Isabel schüttelte den Kopf. »Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Wir sehen uns morgen früh.«
Nachdem Peggy gegangen war, war es sehr still im Zimmer; Isabel nippte von ihrem Tee und dachte über den Vorfall vorhin nach. Furcht durchfuhr sie wie eine scharfe Klinge, als sie sich den entsetzlichen Augenblick in Erinnerung rief, als Marcus beinahe getötet worden wäre. Aber das Wissen, dass er in Sicherheit war und in der Nähe, erfüllte sie wieder mit der unaussprechlichen Erleichterung, die sie auch eben verspürt hatte. Sie biss sich auf die Lippe. Es war wunderbar, dass er unbeschadet davongekommen war, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass jemand ihn hatte umbringen wollen! Und obwohl er selbst behauptet hatte, dass es vermutlich nur ein Wilderer gewesen war, hielt sie das für blanken Unsinn. Es war nicht abzustreiten, dachte sie eigensinnig, dass, wenn er sich nicht in letzter Sekunde bewegt hätte, es gut möglich wäre, dass er in diesem Moment tot im Garten läge.
Sie schob das Entsetzen, das sie bei diesem Gedanken zu überwältigen drohte, beiseite und beschäftigte sich mit dem Angriff selbst. Wer auch immer der Schütze gewesen war, er musste dumm und verzweifelt gewesen sein. Dumm, weil Marcus angesehen, geachtet und beliebt war. Sein Tod oder auch seine Verwundung durch einen feigen Mörder hätte einen Aufschrei der Empörung zur Folge gehabt, der bis nach London zu hören gewesen wäre. Und einen Schuss auf ihn im Regen zu riskieren, im Wald, wo er Deckung hatte und der Mond nur spärlich und zudem trügerisches Licht spendete, musste die Tat eines Verzweifelten sein. Ihre Augen wurden schmal. Ihr fiel nur eine Person ein, die beides war, dumm und verzweifelt, und zudem einen Grund besaß, Marcus etwas antun zu wollen. Whitley!
Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie noch nicht einmal Marcus’ Erscheinen in ihrem Schlafzimmer ablenken konnte. Mit gefurchter Stirn erwog sie die Folgerungen aus ihren Erkenntnissen und sah ihn aus dem Augenwinkel durch die schwere Eichentür treten, die ihre beiden Zimmer verband.
Er trug einen schwarz und weinrot gemusterten Seidenmorgenrock und schlenderte durch das Zimmer, als täte er das jede Nacht. Ein leises Lächeln spielte um seine Lippen, während er sich dem Bett näherte. Sie sah durch und durch bezaubernd aus, dachte er hingerissen. Er starrte sie an, wie sie da im Bett saß, finster zu ihm aufblickte, ihr rotes Haar in einer wilden Wolke auf ihren Schultern, ihre unglaublich goldbraunen Augen auf ihn gerichtet. In dem Moment wurde Marcus etwas klar, was er eigentlich schon eine Weile wusste: Er hatte sich rettungslos in Isabel verliebt.
Wie betäubt von dieser Erkenntnis stand er einfach nur da, starrte sie weiter an und war wie gelähmt. Vollkommen unter ihrem Bann stehend benötigte er eine Sekunde, bis ihm auffiel, dass sie die Lippen bewegte und mit ihm sprach.
»Was?«, fragte er dümmlich. »Was hast du gesagt?«
»Ich habe gesagt«, wiederholte sie ungeduldig, »dass der Angreifer Whitley gewesen sein muss. Es gibt niemanden sonst, der einen Grund hätte, einen Anschlag auf dich zu verüben.«
Es war sinnlos, sie von etwas anderem zu überzeugen zu versuchen, daher sah er sie an und nickte. »Ja, ich bin mir auch ziemlich sicher, dass es dein Freund war, der Major, der heute Nacht auf uns geschossen hat.«
»Er ist nicht mein Freund.«
»Stimmt. Vermutlich ist Whitleys einziger Freund er selbst.«
»Höchstwahrscheinlich. Aber was unternehmen wir jetzt seinetwegen? Man kann ihm doch unmöglich durchgehen lassen, dass er in der Gegend umherschleicht und auf dich schießt, wann immer ihm die Idee kommt.« In ihren Augen standen Sorge und Angst, als sie erklärte: »Marcus, du hättest heute Nacht sterben können. Wenn dir irgendetwas zustoßen würde …« Sie brach mit tränenerstickter Stimme ab, wandte den Blick ab und brachte schließlich unglücklich heraus: »Das ist alles nur meine Schuld! Ich habe dein Leben in Gefahr gebracht. Ich hätte dich nie bitten sollen, meinetwegen etwas zu unternehmen.« Sie sah ihn wieder an, und ihr Blick war eindringlich. »Ich hätte ihn selbst in dem Augenblick
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